Rechtfertigen Verkehrsstraftaten und Ordnungswidrigkeiten Bedenken an derEignung zum Führen von Kraftfahrzeugen?
I. Einführung in die Problematik
Die Verteidigung in einer Verkehrsstraf- oder -bußgeldsache kann gelegentlich ein unerfreuliches Nachspiel haben, nämlich dann, wenn der Mandant nach rechtskräftigem Abschluss Post von der Führerscheinstelle erhält. Eine auf den ersten Blick erfolgreiche Vertretung wird so zum "Pyrrhus-Sieg". Kann sich der Rechtsanwalt für seinen Mandanten gegen Anordnungen zur Wehr setzen, wenn die Verwaltungsbehörde ihn zur Beibringung ärztlicher beziehungsweise medizinisch-psychologischer Gutachten zur Klärung von Eignungszweifeln auffordert, obwohl im Strafverfahren keine § 69 StGB-Maßnahme oder nur ein Fahrverbot nach § 44 StGB angeordnet wurde? Schließt dies Eignungszweifel der Verwaltungsbehörde, die der Strafrichter unter dem Gesichtspunkt von § 69 StGB nicht hatte, aus? Und wie verhält es sich, wenn der Beschuldigte wegen einer Trunkenheitsfahrt mit einem Blutalkohol-Wert von unter 1,6 Promille verurteilt wurde, also unterhalb der Grenze, bei der das BVerwG davon ausgeht, dass eine dauerhaft ausgeprägte Alkoholproblematik besteht, vgl. auch § 13 Nr. 2c FeV.
Verschärft stellt sich die Problematik, wenn der Betroffene "nur" wegen Ordnungswidrigkeiten verurteilt worden ist, bei der lediglich Punkte im Verkehrszentralregister nach § 4 StVG anfielen, ohne dass die Grenze zur Entziehung der Fahrerlaubnis erreicht wurde. Hier muss überprüft werden, ob das Punktesystem unbeachtet bleiben darf. Weiter muss untersucht werden, ob weitergehende Risiken bestehen nach abgeschlossenen Verkehrs-Ordnungswidrigkeiten, die zahlreich vorgekommen sein mögen, aber nicht ins Verkehrszentralregister eingetragen werden. Dies soll am Beispiel von Verstößen gegen die Sozialvorschriften im Fahrpersonalrecht erörtert werden. Ferner ist zu klären, in welcher Reihenfolge die Fahrerlaubnisbehörde bei einem Zusammentreffen mit einem strafrechtlich relevanten Vorwurf oder einer Verfehlung nach dem OWiG vorgehen darf und inwieweit sie an dortige Vorentscheidungen gebunden ist. Letztlich sind die Konsequenzen eines Beweisverwertungsverbots im Straf-/OWi-Verfahren auf das Führerscheinentziehungsverfahren zu thematisieren.
II. Gesetzliche Grundlagen
Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 I 1 StVG i.V.m. § 46 I 1 FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 I 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Daneben kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung von Eignungszweifeln die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen, wobei sie gem. § 46 III i.V.m. § 11 VIII FeV bei ihrer Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis von der Nichteignung ausgehen kann, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen oder das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Untersuchungsanordnung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgt.
III. Eignungsmängel nach Verkehrs-Ordnungswidrigkeiten im Punktebereich?
§ 11 FeV führt in den Abs. 2 und 3 bestimmte Sachverhalte an, die eine Anordnung eines fachärztlichen oder eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erlauben. Eine mögliche Berechtigung, vom Verkehrsteilnehmer die Vorlage eines Fahreignungsgutachtens zu verlangen, ergibt sich insbesondere aus § 11 III 1 Nr. 4 FeV. Danach kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung von Eignungszweifeln bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften unterhalb der Strafbarkeitsschwelle eine medizinisch-psychologische Begutachtung anordnen.
1. Konflikt mit Punktesystem
Darf die Fahrerlaubnisbehörde nun beispielsweise schon bei drei in kurzen Zeitabständen begangenen Geschwindigkeitsverstößen auf die Nichteignung des Fahrerlaubnisinhabers schließen, auch wenn der Betroffene hierfür nur insgesamt 9 (3 × 3) Punkte in der Verkehrszentralkartei erhalten hat? Hier ergeben sich im besonderen Maße Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen fahrerlaubnisrechtlichen Instrumenten wie dem Punktesystem. Nach § 4 III 1 Nr. 3 StVG gilt der Betroffene erst da...