BGB § 199
Leitsatz
Kommt es für den Beginn der Verjährung auf die Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters der Pflegekasse an, ist die Kenntniserlangung durch den Beschäftigten für die Verjährung der Forderungen der Pflegekasse nur relevant, wenn und soweit der Bedienstete für die Abwicklung des Schadensfalles für diese handelt.
BGH, Urt. v. 15.3.2011 – VI ZR 162/10
1 Sachverhalt
Die klagende gesetzliche Pflegekasse nimmt aus übergegangenem Recht die Bekl. als Haftpflichtversicherer auf Ersatz von Pflegeleistungen in Anspruch. Der VN der Kl. wurde am 29.8.2003 bei einem Verkehrsunfall, an dem der VN der Bekl. beteiligt war, schwer verletzt. Seit 2007 bedarf der Verletzte der Pflege, deren Kosten die Kl. trägt. Die Kl. ist die Pflegekasse, die gem. § 46 Abs. 1 S. 2 SGB XI bei der IKK errichtet ist. Die bei der Krankenkasse angestellte Sachbearbeiterin K rechnete ab 2004 mehrfach Krankheitskosten für den Verletzten gegenüber der Bekl. ab. Im Jahre 2004 einigten sich die Bekl. und die Krankenkasse auf eine Haftungsquote von 50 %. K stellte erstmals am 18.4.2008 eine erste Zwischenabrechnung in Höhe von 50 % der Pflegekosten, die die Kl. am 30.6.2007 übernommen hatte. Die Bekl. lehnte einen Ausgleich wegen der nach ihrer Auffassung eingetretenen Verjährung ab. Das BG hat unter Abänderung der im Wesentlichen erfolgreichen Klage vor dem LG die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Anspruch der Kl. sei verjährt. Die Sachbearbeiterin K habe bereits mit der Bearbeitung der ersten Schadensmeldung im Jahre 2004 Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände für die Kl. erlangt. Da die Krankenkasse und die Pflegekasse rechtlich selbständige Körperschaften des öffentlichen Rechts seien, hindere die Zurechnung der Kenntniserlangung der Beschäftigten der Leistungsabteilung für die Regressabteilung nicht. Zum einen seien die Organe der Krankenkasse gleichzeitig Organe der Pflegekasse (§ 46 Abs. 2 S. 2 SGB XI) und die Mitarbeiter der Pflegekasse seien arbeitsrechtlich Beschäftigte der Krankenkasse (§ 46 Abs. 2 S. 3 SGB XI). Weiterhin seien dieselben Sachbearbeiter für die Leistungserbringung in der Regressabteilung für die Geltendmachung von Krankheits- und Pflegekosten zuständig. Das rechtfertige die Feststellung, dass beide Körperschaften die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis gleichzeitig erlangten und geeignete Maßnahmen zur Verhinderung des Verjährungseintritts ergreifen könnte.
Der BGH folgte dieser Argumentation nicht.
2 Aus den Gründen:
[7] „Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
[8] 1. Entgegen der Auffassung der Revision ist allerdings der dem Regress der Kl. zu Grunde liegende Anspruch auf Ersatz vermehrter Bedürfnisse nach § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht erst im Jahr 2007 entstanden. Ein Anspruch im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist entstanden, sobald er im Wege der Klage geltend gemacht werden kann, wobei bei Schadensersatzansprüchen grds. die Möglichkeit einer Feststellungsklage ausreicht (vgl. Senat, Urt. v. 12.5.2009 – VI ZR 294/08, VersR 2009, 989 Rn 9 m.w.N.). Der gesamte einer unerlaubten Handlung entspringende Schaden stellt sich als eine Einheit dar und nicht als eine Summe einzelner selbständiger, unzusammenhängender Schäden. Daher schließt die Ungewissheit über den Umfang und die Höhe des Schadens den Beginn der Verjährung nicht aus (vgl. etwa RGZ 119, 204, 208; Senat, Urt. v. 20.10.1959 – VI ZR 166/58, VersR 1959, 1045, 1046 und v. 20.12.1977 – VI ZR 190/75, VersR 1978, 350, 351). Der Verletzte braucht mithin von den einzelnen Schadensfolgen keine Kenntnis erlangt zu haben. Vielmehr genügt die allgemeine Kenntnis vom Eintritt eines Schadens; wer diese erlangt hat, dem gelten auch solche Schadensfolgen als bekannt, die im Zeitpunkt der Kenntniserlangung nur als möglich voraussehbar waren (Senat, Urt. v. 12.7.1960 – VI ZR 73/59, BGHZ 33, 112, 116 und v. 30.1.1973 – VI ZR 4/72, VersR 1973, 371 m.w.N.; st. Rspr.). Aus diesem Grunde wird der Gläubiger im Allgemeinen aus dem Gesichtspunkt drohender Verjährung schon dann Anlass zur Feststellungsklage haben, wenn mit Auswirkungen des Schadens gerechnet werden muss, die im Einzelnen noch nicht abzusehen sind und die daher mit einer Leistungsklage noch nicht geltend gemacht werden können. Das gilt besonders, wenn so genannte Spätfolgen einer Körperverletzung zu befürchten sind oder wenn die Auswirkungen einer Verletzung auf die Erwerbsfähigkeit und die Berufstätigkeit des Verletzten noch nicht abschließend beurteilt werden können. Ausnahmen sind nur in eng begrenzten Fallkonstellationen hinnehmbar, so etwa bei schweren Folgeschäden anfänglich ganz leichter Verletzungen oder wenn sich aus anscheinend vorübergehenden Krankheiten in nicht vorhersehbarer Weise chronische Leiden entwickeln. In diesen Fällen ist der Beginn der Verjährung in der Regel erst von dem Zeitpunkt an zu rechnen, in dem der Verletzte von den erst nachträglich eingetretenen Schäden Kenntnis erhält (Senat, Urt. v. 3.6.1997 – VI ZR 71/96, VersR 1997, 1111 und v. 16.11.1999 – VI ZR 37/99, VersR 2000, 33...