SGB VII § 105 Abs. 1 S. 1 § 106 Abs. 3 Fall 3 § 108 Abs. 2
Leitsatz
1. Die Aussetzung des Verfahrens gem. § 108 Abs. 2 SGB X wegen unterlassener Beteiligung des Schädigers am Verwaltungsverfahren ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn sie eine bloße Förmelei wäre.
2. Diente die Tätigkeit des Schädigers sowohl dem Interesse des Unfallbetriebs als auch dem seines eigenen bzw. seines Stammunternehmens, kann sie dem Unfallbetrieb nur dann i.S.d. § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII zugeordnet werden, wenn sie der Sache nach für diesen und nicht für das eigene Unternehmen geleistet wurde.
3. Zum Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII.
BGH, Urt. v. 30.4.2013 – VI ZR 155/12
Sachverhalt
Der Kl. hat die Bekl. auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens aus einem Unfall in Anspruch genommen. Der bei der B AG angestellte Kl. arbeitete in dem Werk in D. An Arbeitstagen wurde er von einem sog. Werksbus der B AG von seinem Wohnort in E abgeholt und an seine Arbeitsstelle gebracht. Die B AG beauftragte die Bekl. zu 2) mit der Durchführung der Fahrten der Werksbusse, die hierfür u.a. den bei ihr als Busfahrer angestellten Bekl. zu 1) einsetzte. Am Unfalltag holte der Bekl. zu 1) den Kl. mit einem Bus der Bekl. zu 2), der bei der Bekl. zu 3) haftpflichtversichert ist, ab. An der Ausstiegsstelle stieg der Kl. an der hinteren Tür des Busses aus, kam dabei zu Fall und zog sich eine Unterarmfraktur zu. Die zuständige Berufsgenossenschaft erkannte den Unfall durch Bescheid als Arbeitsunfall an.
Der Kl. hat mit der Behauptung, der Bekl. zu 1) habe den Unfall dadurch verursacht, dass er die hintere Bustür geschlossen habe, als er, der Kl., im Begriff gewesen sei, auszusteigen, die Verurteilung der Bekl. zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und auf Feststellung der Ersatzverpflichtung der Bekl. Hinsichtlich zukünftiger materieller und immaterieller Schäden verfolgt.
Das BG hat das stattgegebene Urteil des LG abgeändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das BG ausgeführt, der Unfall habe sich bei einer vorübergehenden Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet, wobei zwischen dem Kl. und dem Bekl. Zu 1) eine wechselseitige Gefahrengemeinschaft bestanden habe. Der Kl. habe den Unfall auf einem zur versicherten Tätigkeit zählenden Betriebsweg erlitten.
Der BGH lehnte ein den Bekl. zukommendes Haftungsprivileg ab und hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das BG zurück.
2 Aus den Gründen:
[7] "… 1. Das BG hat allerdings zu Recht angenommen, dass die Haftung des Bekl. zu 1) nicht gem. § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausgeschlossen ist. Nach dieser Bestimmung sind Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, von der Haftung für Personenschäden freigestellt, wenn sie den Unfall weder vorsätzlich noch auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Bekl. zu 1) hat im Unfallzeitpunkt keine betriebliche Tätigkeit für den Betrieb erbracht, in dem der Kl. versichert war und dem der Versicherungsfall zuzurechnen ist."
[8] a) Der Kl. hat den Unfall als Versicherter aufgrund seines Beschäftigungsverhältnisses zur B AG in deren Werk in D erlitten (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Dies steht mit Bindungswirkung nach § 108 Abs. 1 SGB VII aufgrund des Bescheids v. 23.9.2010 fest, mit dem die für die B AG zuständige Berufsgenossenschaft Holz und Metall den Unfall des Kl. als Arbeitsunfall anerkannt hat.
[9] aa) Gem. § 108 Abs. 1 SGB VII ist der Zivilrichter an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte hinsichtlich der Frage gebunden, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist. Die Bindungswirkung erstreckt sich auch auf die Entscheidung darüber, ob der Verletzte den Unfall als Versicherter aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 S. 1 SGB VII erlitten hat und welchem Betrieb der Unfall zuzurechnen ist (vgl. Senatsurt. v. 22.4.2008 – VI ZR 202/07, VersR 2008, 820 Rn 9, 13; v. 19.5.2009 – VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn 17, 21; Horst/Katzenstein, VersR 2009, 165, 169 f.; ErfK/Rolfs, Arbeitsrecht, 13. Aufl., § 108 SGB VII Rn 2; jeweils m.w.N.).
[10] bb) Zwar ist dem Berufungsurteil nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob der Bescheid v. 23.9.2010 auch den Bekl. zu 1) und 2) gegenüber bestandskräftig geworden ist. Das BG hat insb. keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Bekl. zu 1) und 2) gem. § 12 Abs. 2 SGB X in der gebotenen Weise an dem Verfahren beteiligt worden sind (vgl. zur grundsätzlichen Notwendigkeit tatsächlicher Feststellungen zu dieser Frage: Senatsurt. v. 22.4.2008 – VI ZR 202/07, VersR 2008, 820 Rn 9; v. 19.5.2009 – VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn 22 ff.). Dies ist jedoch ausnahmsweise unschädlich, da die im Fall einer unterlassenen Beteiligung des Schädi...