" … Gegenstand der Berufung ist … allein die Frage, ob der Kl. sich ein erhebliches Mitverschulden gegen sich selbst entgegen halten lassen muss, weil er keine Motorradschuhe getragen hat."
2. Eine solche Mithaftung, die sich auf die geltend gemachten Sachschäden allerdings nicht auswirken würde, besteht jedoch nicht.
a) Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass eine gesetzliche Vorschrift zum Tragen von Motorradstiefeln nicht existiert (vgl. zu Sicherheitsgurten und Schutzhelm § 21a StVO).
b) Nun ist allerdings ein Mitverschulden des Verletzten auch ohne das Bestehen gesetzlicher Vorschriften bereits dann anzunehmen, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Er muss sich “verkehrsrichtig’ verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der StVO bestimmt, sondern durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahr möglichst gering zu halten. Danach würde es für eine Mithaftung des Kl. ausreichen, wenn das Tragen von Motorradschuhen durch Motorradfahrer zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich war (BGH NJW 1979, 980).
c) Das LG hat mit zutreffender Argumentation ein solches Bewusstsein verneint.
aa) Es hat hierzu auch zu den von den Bekl. zitierten Entscheidungen des OLG Düsseldorf v. 20.2.2006 (MZV 2006, 415) und des Brandenburgischen OLG v. 23.7.2009 (NJW-RR 2010, 538) Stellung bezogen. Hierbei ist dem LG zuzustimmen, wenn es ausführt, dass das OLG Düsseldorf ein solches Verschulden gegen sich selbst ohne nähere Begründung bejaht. Das Urteil des Brandenburgischen OLG bezieht sich auf Schutzkleidung an den Beinen, also auf eine Motorradhose, die Prellungen und Risswunden am linken Bein des dortigen Kl. verhindert hätte. Insoweit mag – was der Senat im vorliegenden Fall jedoch offen lassen kann – ein allgemeines Verkehrsbewusstsein bestehen (wohl zweifelnd Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 21a StVG Rn 23).
bb) Hinsichtlich des Tragens von Motorradschuhen vermag auch der Senat jedenfalls derzeit ein solches allgemeines Verkehrsbewusstsein nicht zu erkennen.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens.
Hierbei ist schon nicht vorgetragen oder ersichtlich, auf welche Art von Motorradschuhen sich dieses Bewusstsein beziehen soll. Bei Motorradschutzbekleidung als solche mag dies eine solche aus Kevlar, Lederimitat, dickem Leder oder ähnlichem Material sein. Bei Motorradschuhen könnten diese Schuhe aus dünnem oder dickem Leder oder Lederimitat bestehen. Die Schuhe könnten in bestimmten Bereichen (Zehen/Knöchel) durch Plastik oder Metallteile verstärkt sein oder auch nicht. Evtl. könnte die Schutzfunktion auch durch andere Schuhe erfüllt werden, wie z.B. durch Arbeitsschutzschuhe oder hohe Wanderschuhe. Schon diese Vielfalt spricht gegen ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz bei Schuhen, da völlig unklar bleibt, welcher Standard das Verkehrsbewusstsein prägen soll.
Auch die vorgelegten Unterlagen können ein solches Bewusstsein nicht belegen. So mag es zutreffen, dass 80 % der Motorradfahrer Motorradstiefel tragen. Die vorgelegte Untersuchung lässt jedoch nur erkennen, dass dies tatsächlich der Fall sein soll. Zur Motivation enthält die Studie keine Aussagen. Dass es Empfehlungen zum Tragen von Schutzausrüstungen gibt (vgl. Studie MAIDS) ist unstreitig. Aber auch in dieser Studie ist ausgeführt, dass auch Mode und Aussehen Einflussfaktoren beim Kauf von Motorradkleidung sind (vgl. Studie, S. 3). Es mag auch zutreffen, dass Stiefel im Gegensatz zu leichtem Schuhwerk die Verletzungsgefahr herabsetzen. Dass dies insb. im Bereich der Fußbekleidung von Motorradfahrern allgemeinem Verkehrsbewusstsein entspricht, ist damit aber noch nicht belegt. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Anlagen. Auch hieraus ergibt sich lediglich, dass die Benutzung von Motorradschuhen die Sicherheit erhöht. Dass dies insb. für Schuhe (welche?) allgemeinem Verkehrsbewusstsein entspricht, wird auch dadurch nicht belegt.
3. Dahinstehen kann deshalb, ob beim Tragen von Motorradstiefeln (welche?) die Verletzungen des Kl. nicht oder nicht so gravierend entstanden wären.“
Mitgeteilt von den Mitgliedern des 3. Zivilsenats