Im Vergleich zu zahlreichen Entscheidungen, die es für HWS-Distorsionen nach Verkehrsunfällen gibt, sind die Entscheidungen, die einen Geschlechtsbezug haben, seltener. Statistisch sind die oben gewonnenen Ergebnisse möglicherweise deshalb nicht aussagekräftig. Dennoch lässt sich eine Tendenz nicht verleugnen, so dass die Frage gestellt werden muss, wo die Gründe für die Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen liegen.
Angesichts der Verteilung von Männern und Frauen auf den Richterbänken könnte man die Ursache dort suchen. Zu Beginn der 80er Jahre war noch nicht einmal jede zehnte Richterstelle mit einer Frau besetzt. Die zitierten Entscheidungen sind aber sämtlich neueren Datums. Vor zehn Jahren lag der Frauenanteil unter den Richtern bereits bei 35 %. Heute sind es 51 %; beim Richternachwuchs gar 68 %. Hier liegt die Ursache also nicht. Inzwischen sind auch nicht mehr haltbare Differenzierungen zwischen Männern und Frauen von der Rechtsprechung selbst beseitigt worden. Während die Beeinträchtigung der Heiratsaussichten bei einer Frau Ende der 50er Jahre noch ein entscheidendes Kriterium war, hat man heute erkannt, dass Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG und das AGG der Verwendung dieses Kriteriums entgegenstehen.
Auch der Blick auf andere Bereiche des Rechts zeigt, dass trotz der hier aufgelisteten Fehlentwicklung grundsätzlich Einigkeit darüber besteht, Ungleichbehandlungen wegen des Geschlechts zu vermeiden. Der oder die Täterin, die im Bereich des Strafrechts den Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht, bei dem die Körperverletzung den Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit zur Folge hat, wird nicht härter oder milder bestraft, je nachdem, ob das Opfer männlich oder weiblich ist. Die im Versicherungsrecht bestehenden Unterschiede, nach denen Frauen höhere Versicherungsbeträge im Lebens- oder Krankenversicherungsrecht zahlen mussten, sind Geschichte. Heute gibt es "Unisextarife".
Dass es dennoch zu ungerechtfertigten Benachteiligungen bei der Bemessung des Schmerzensgelds wegen Verletzung von Geschlechtsorganen kommt, hängt nicht mit offener Diskriminierung zusammen, sondern damit, dass es für die Bemessung von Schmerzensgeld in Wahrheit rationale, nachvollziehbare Kriterien, an denen Zahlen festgemacht werden können, nicht gibt. Deshalb enthalten die meisten Entscheidungen zur Höhe des Schmerzensgelds auch keine nachvollziehbare Begründung. Meist tauchen Formulierungen wie die folgende auf, die letztlich nichts darüber aussagen, wie das Gericht gerade auf den Betrag kommt, den es für gerechtfertigt hält. So hat das Landgericht Aachen bei der fehlerhaften Teilresektion eines Eileiters ausgeführt:
"Bemessungsgrundlage für das nach § 847 Abs. 1 BGB von der Beklagten zu zahlende Schmerzensgeld, über dessen Höhe gemäß § 287 ZPO zu befinden ist, sind das Ausmaß der durch die versäumte Diagnosestellung in einem Zeitraum von zwei Wochen bei der Klägerin entstandenen Schmerzen und der bei ihr durch die vorgenommene Tubenteilresektion verbleibende Dauerschaden. Ferner Grad des Verschuldens und die gesamten Umstände des Falles. Diese Beeinträchtigungen rechtfertigen nach Auffassung der Kammer eine billige Entschädigung in Geld in Höhe von 5.000 DM".
Wie das Gericht die 5.000 DM errechnet hat, erschließt sich nicht. Das Ergebnis ist deshalb monetär "billig" und juristisch "unbillig". Oft wird auf vergleichbare Entscheidungen in den einschlägigen Schmerzensgeldtabellen hingewiesen. Dieser Weg führt aber in die Irre, weil die verwiesenen Entscheidungen in der gleichen irrationalen Weise entstanden sind. Eine mangelhafte Begründung kann nicht dadurch ersetzt werden, dass auf Entscheidungen verwiesen wird, die ebenfalls mangelhaft begründet sind. Zudem ist eine Vergleichbarkeit praktisch nie gegeben. Sie wäre gegeben, wenn Geschlecht, Alter, Beruf, Vorschädigungen, Empfindlichkeit, Einkommen und Vermögensverhältnisse des Geschädigten sowie Verschulden, Einkommen und Vermögensverhältnisse des Schädigers sowie die sonstigen von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien übereinstimmten. Das ist nie der Fall.
Die Schmerzensgeldtabellen sollen eine ungefähre Richtschnur bieten. In ihnen sind Kurzbeschreibungen der erlittenen Verletzungen, der Dauerschäden und gegebenenfalls der besonderen Umstände des jeweiligen Falls sowie die gewährten Schmerzensgeldbeträge enthalten. Das legt nahe, mit ihrer Hilfe Entscheidungsgesichtspunkte für vergleichbare Fälle finden zu können. Aus den oben aufgelisteten Tabellenbeträgen ergibt sich indessen, dass für vergleichbare Verletzungen sehr unterschiedliche Summen ausgeworfen werden. Welcher Betrag im jeweils zu beurteilenden Fall angemessen ist, bleibt offen. Die Geschädigten orientieren sich häufig an den oberen Beträgen; die Schädiger oder ihre Versicherungen an den unteren.
Schon aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass die Anknüpfung an die Tabellenwerte nicht nur subjektiv belastet ist, sondern im Wesentlichen willkürlich erfolgt. Der bloße Verweis a...