Einführung
Eine nicht unerhebliche Anzahl von Ordnungswidrigkeitenverfahren entfällt auf Verkehrsunfälle mit Personen- und/oder Sachschäden im Straßenverkehr. Die hohe bußgeldrechtliche Relevanz wird an der Gesamtzahl von 2 376 346 polizeilich erfasster Straßenverkehrsunfälle im Jahr 2012 deutlich. Während die Unfälle zum einen von den Kfz-Haftpflichtversicherungen zivilrechtlich reguliert werden müssen und oftmals vor den Zivilgerichten landen, kann das Verhalten des von der Polizei bzw. Bußgeldstelle als verantwortlich ausgemachten Verkehrsteilnehmers zudem bußgeldbewehrt sein. Auch bußgeldrechtlich muss demnach über die Unfallschuld vor dem zuständigen Amtsgericht ggf. gesondert verhandelt werden. Der Beitrag untersucht, welche Schnittstellen zwischen dem Zivilverfahren (Unfallregulierung) und dem Ordnungswidrigkeitenverfahren bestehen können und zeigt auf, dass bei der Verteidigung in bußgeldrechtlichen Verfahren nach Verkehrsunfällen bestimmte Besonderheiten zu beachten sind. Im Schwerpunkt sollen die wichtigsten Verteidigungslinien vorgestellt und Wege aufgezeigt werden, das Verfahren zur Einstellung zu bringen oder die Geldbuße abzumildern. Darüber hinaus werden die besonders praxisrelevanten Probleme bei der Verteidigung gegen angeblich verschuldete Unfälle besprochen und die wichtigsten Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Tätigkeit in der 2. Instanz dargestellt. Zum Abschluss wird untersucht, wie und in welcher Höhe die anwaltliche Tätigkeit gebührenrechtlich abgerechnet werden kann.
A. Exemplarische Verfehlungen von Kraftfahrzeugführern
Bußgeldrechtlich relevante Fahrfehler befinden sich verstreut im gesamten Bußgeldkatalog. Ordnungswidrig verhält sich nach § 49 StVO i.V.m. § 24 StVG, wer infolge nicht angepasster Geschwindigkeit einen Verkehrsunfall verursacht (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO). Gem. § 3 Abs. 1 StVO darf der Fahrzeugführer nur so schnell fahren, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht. Er hat seine Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie seinen persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Der Bußgeldkatalog sieht hierfür nach Nr. 8.1 eine Geldbuße in Höhe von 100 EUR vor (3 Punkte). Weitere klassische Verfehlungen von Kraftfahrzeugführern, die zu einem Verkehrsunfall führen können, sind Verstöße gegen das Rechtsfahrgebot. Nach § 2 Abs. 2 StVO ist möglichst weit rechts zu fahren, nicht nur bei Gegenverkehr, beim Überholtwerden, an Kuppen, in Kurven oder bei Unübersichtlichkeit. Nach 4.1 BKat werden Zuwiderhandlungen mit 80 EUR Geldbuße belegt (2 Punkte). Kommt es zum Unfall, da der Betroffene abgebogen ist, ohne ein entgegenkommendes Fahrzeug durchfahren zu lassen, wird nach Nr. 40 BKat ein Bußgeld von 40 EUR verhängt (2 Punkte). Nach § 9 Abs. 3 StVO muss der Fahrzeugführer entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen, wenn er abbiegen will. Überholt der Verkehrsteilnehmer bei unklarer Verkehrslage, riskiert er bei einem Verkehrsunfall sogar ein Fahrverbot von einem Monat (Nr. 19.1.2 BKat; 300 EUR Geldbuße, 4 Punkte). Das Überholen ist gem. § 5 Abs. 3 StVO unzulässig bei unklarer Verkehrslage. Auch Fehler beim Wechseln der Fahrspur sind bußgeldbewehrt. Nach § 7 Abs. 5 StVO darf in allen Fällen ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Nr. 31.1 BKat sieht eine Geldbuße von 35 EUR vor. Auf Vorfahrtspflichtverletzungen stehen bei Gefährdung nach Nr. 34 BKat 100 EUR Geldbuße (3 Punkte). Nach § 8 StVO hat an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt, wer von rechts kommt. Ordnungswidrig verhält sich nach § 49 StVO, wer einen Verkehrsunfall in Folge des Nichteinhaltens des erforderlichen Abstands begangen hat. Mit Sachbeschädigung wird eine Geldbuße in Höhe von 35 EUR erhoben. Nach § 4 Abs. 1 StVO muss der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird.
B. Verfahrensgang
I. Erforschen der Ordnungswidrigkeit
Die Bußgeldstelle und die Polizei haben den Sachverhalt, die den Verdacht einer Ordnungswidrigkeit begründet, zu ermitteln und aufzuklären, § 53 OWiG. Die Ermittlungen erschöpfen sich jedoch in der Praxis auf ein Mindestmaß, so erstattet die Polizei, die zum Unfall herbeigerufen wurde, einen Verkehrsunfallbericht und fertigt oftmals Fotos der beschädigten Fahrzeuge an und Skizzen vom Unfallort an. Ferner schätzt sie den entstandenen Sachschaden. Des Weiteren werden Fragebögen an etwaige Zeugen versandt. Diese kommen oftmals nicht in den Rücklauf, so dass die Rekonstruktion des Unfallgeschehens sich zusätzlich erschwert. Die Polizei vergibt in der Verkehrsunfallanzeige immer Ordnungsnummern (ON). Der von der Polizei als Verursacher eingestufte Verkehrsteilnehmer wird mittels des Anscheinsbeweises mit "ON 01" festgelegt, der weitere Verkehrsteilnehmer mit "ON 02". Die Bewertungen der den Unfall aufnehmenden Beamten hinsichtlich der Schuld- oder Verursacherfrage sind bußgeld- wie zivilrechtlich jedoch bedeutungslos. Die Bußgelds...