VV RVG Nr. 4100 4104 4105
Leitsatz
Nach der Neufassung der Nr. 4100 VV RVG durch das 2. KostRMoG fällt dem Verteidiger neben der Grundgebühr gleichzeitig stets die Verfahrensgebühr für den Verfahrensabschnitt an, in dem der Rechtsanwalt erstmalig mit der Sache befasst wird.
(Leitsatz der Schriftleitung)
LG Duisburg, Beschl. v. 3.6.2014 – 34 Qs 52/13
Sachverhalt
Der Rechtsanwalt war für Angeschuldigten noch vor Eingang der Anklageschrift bei Gericht am 14.8.2013 zu einem nicht mitgeteilten Zeitpunkt tätig. Am 8.8.2013 hat der Verteidiger beantragt, einen Termin zu Haftprüfung anzuberaumen. Nach Beendigung seiner Tätigkeit hat der Verteidiger die Festsetzung seiner ihm aus der Staatskasse zustehenden Vergütung beantragt, darunter einer Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4104, 4105 VV RVG. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Verfahrensgebühr nebst anteiliger Umsatzsteuer abgesetzt. Die hiergegen eingelegte Erinnerung hatte keinen Erfolg. Auf die Beschwerde des Pflichtverteidigers hat das LG die Verfahrensgebühr nebst Umsatzsteuer festgesetzt.
2 Aus den Gründen:
" … Die gem. §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 2 RVG zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des AG ist begründet. Das AG hat den Antrag des Pflichtverteidigers auf Festsetzung der Verfahrensgebühr Nr. 4105 VV RVG für das vorbereitende Verfahren nebst anteiliger Umsatzsteuer zu Unrecht zurückgewiesen."
Die Verfahrensgebühr nach Nr. 4105 VV RVG ist angefallen. Denn der Verteidiger hat im Ermittlungsverfahren tatsächlich Aktivitäten entfaltet, die über die mit der Grundgebühr abgegoltenen Tätigkeiten, also den einmalig mit der Übernahme des Mandats anfallenden Arbeitsaufwand, hinausgehen. Die Nr. 4104, 4105 VV RVG umfassen die gesamte Verteidigertätigkeit, insbesondere jede Antragstellung. Die Verteidigerbestellung erfolgte hier vor dem Eingang der Anklageschrift v. 14.8.2013 bei Gericht und damit im vorbereitenden Verfahren. Der Verteidiger hat am 8.8.2013 beantragt, Termin zur mündlichen Verhandlung (Haftprüfung) anzuberaumen. Damit hat er eine Tätigkeit ausgeübt, die über die Entgegennahme der Information und die Akteneinsicht hinausgeht.
Zudem fällt die Verfahrensgebühr zeitgleich neben der Geschäftsgebühr (gemeint: Grundgebühr) an. Dies ergibt sich aus der durch das 2. KostRMoG hinzugesetzten Formulierung in Nr. 4100 VV RVG, wonach die Grundgebühr “neben der Verfahrensgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall‘ entsteht. Die Grundgebühr kann danach grds. nicht selbstständig anfallen, sondern regelmäßig nur neben einer Verfahrensgebühr. Für die Tätigkeit in einem jeden gerichtlichen Verfahren entsteht eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr (BT-Drucks 17/11471 (neu), S. 281). Die Grundgebühr soll den zusätzlichen Aufwand entgelten, der für die erstmalige Einarbeitung anfällt. Sie hat daher den Charakter einer Zusatzgebühr, die den Rahmen der Verfahrensgebühr erweitert (BT-Drucks 17/11471 (neu), S. 281).
Aus dem Wortlaut (die Grundgebühr entsteht neben der Verfahrensgebühr und nicht neben einer Verfahrensgebühr) ergibt sich, dass neben der Grundgebühr gleichzeitig stets die Verfahrensgebühr für den Verfahrensabschnitt anfällt, in dem der Rechtsanwalt erstmalig mit der Sache befasst wird. Wird der Rechtsanwalt auch in weiteren Verfahrensstadien tätig, können weitere Verfahrensgebühren anfallen (etwa neben der Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren auch die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren). Der Anfall der Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren ist nicht von dem weiteren Verlauf des Verfahrens abhängig. Anderenfalls würden bereits angefallene Verfahrensgebühren durch Fortführung des Verfahrens rückwirkend wieder entfallen. Dies sieht das Gesetz hingegen nicht vor.
Der Rechtsanwalt als Verteidiger eines inhaftierten Beschuldigten erhält die jeweilige Gebühr mit einem Zuschlag (Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, Nr. 4104–4105 VV, Rn 13). Die Gebühr Nr. 4105 VV RVG mit Zuschlag beträgt für einen gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt 161 EUR zzgl. Umsatzsteuer. … “
3 Anmerkung:
Der Beschluss des LG Duisburg ist die erste bekannt gewordene Entscheidung, die sich mit der durch das 2. KostRMoG zum 1.8.2013 neugefassten Grundgebühr befasst. Unter der Geltung des bisherigen Rechts war in vielen Fallgestaltungen umstritten, ob die anwaltliche Tätigkeit nur die Grundgebühr oder daneben auch die Verfahrensgebühr ausgelöst hat. Das 2. KostRMoG hat in Abs. 1 der Anm. zu Nr. 4100 VV RVG ebenso wie übrigens in Abs. 1 der Anm. zu Nr. 5100 VV RVG die Worte "neben der Verfahrensgebühr" eingefügt. Diese Einfügung und die vom LG zitierten Gesetzesmaterialien stellen klar, dass die Grundgebühr als Zusatzgebühr regelmäßig neben der Verfahrensgebühr anfällt.
I. Anwendbarkeit der Neuregelung
Diese Neufassung ist allerdings nur dann anwendbar, wenn für den betreffenden Verteidiger auch das ab 1.8.2013 geltende Gebührenrecht anwendbar ist, was sich nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt (s. OLG Saarbrücken RVGreport 2014, 310 (Hansens) für den PKH-A...