1
Der vorliegende Beitrag widmet sich der Räum- und Streupflicht im Winter und berücksichtigt im Besonderen die in den letzten beiden Jahren ergangene Rechtsprechung hierzu. Ausgangspunkt ist die rechtliche Rolle der Gemeinde. Anschließend wird die Rechtspflicht zur Verkehrssicherung bei Schnee- und Eisglätte dargestellt; Zeit, Frequenz und Gegenstand des Winterdienstes werden anhand aktueller Rechtsprechung aufgearbeitet. Die Rechtsfolgen der Verletzung winterdienstlicher Pflichten werden aufgezeigt. Abgehandelt werden schließlich die Beweislast im Prozess und die Problematik des etwaigen Mitverschuldens des Geschädigten selbst. Ausgeklammert und einem weiteren Beitrag vorbehalten bleibt die Übertragung der Pflicht zur winterlichen Verkehrssicherung auf Dritte und damit einhergehende Regresskonstellationen.
A. Ausgangspunkt: Die rechtliche Rolle der Gemeinde
Der Winterdienst gehört nicht zur Straßenbaulast (§ 3 III FstG, § 9 III 1 BayStrWG). Eine direkte gesetzliche Verpflichtung auf Bundes- oder Landesebene zu einem Winterdienst gibt es in Deutschland nicht. Es bleibt Aufgabe der Kommunen (meist der Gemeinden), innerhalb ihrer Leistungsfähigkeit und geschlossener Ortslage die öffentlichen Straßen von Schnee zu befreien. Sie sind auch verpflichtet, alle gefährlichen Fahrbahnstellen, Fußgängerüberwege und Gehbahnen bei Glätte zu streuen, soweit das dringend erforderlich ist und nicht andere aufgrund sonstiger Rechtsvorschriften (insbesondere der Verkehrssicherungspflicht) hierzu verpflichtet sind.
I. Abwälzung des Winterdienstes
Daneben steht es Gemeinden offen (z.B. § 51 I, II, IV, V BayStrWG), durch Rechtsverordnung private Anlieger bzw. Hinterlieger zu verpflichten, Gehwege sowie gemeinsame Geh- und Radwege der an ihr Grundstück angrenzenden oder ihr Grundstück erschließenden öffentlichen Straßen zu räumen und zu streuen. Wenn kein Gehweg oder gemeinsamer Geh- und Radweg vorhanden ist, können sie verpflichtet werden, öffentliche Straßen in der für den Fußgängerverkehr erforderlichen Breite in sicherem Zustand zu erhalten. Von dieser Möglichkeit der Abwälzung des Winterdienstes auf Private wird in der Praxis häufig Gebrauch gemacht. Obwohl bei der Gemeinde in diesem Fall eine Pflicht zur Überwachung des Winterdienstes verbleibt, scheiden Ansprüche des Geschädigten gegen die Gemeinde wegen Verletzung dieser Pflicht in der Praxis regelmäßig aus, weil eine Amtspflichtverletzung nicht festzustellen ist. Deshalb wendet sich der Geschädigte – in aller Regel – an den verkehrssicherungspflichtigen Anlieger.
II. Besondere Verkehrssicherungspflicht wegen selbst geschaffener besonderer Gefahrenlage
Auch wenn die Gemeinde den Winterdienst nicht auf die Anlieger übertragen hat, haftet der Privatanlieger im Ausnahmefall trotzdem, wenn er eine besondere Gefahrenlage geschaffen hat. Einen derartigen Fall hat das OLG Naumburg entschieden: Das Gericht führte aus: "Unabhängig von der allgemeinen Räum- und Streupflicht ist beispielsweise auch ein Hauseigentümer verpflichtet, bei winterlichen Temperaturen Vorkehrungen gegen das Ausrutschen von Fußgängern auf dem öffentlichen Gehweg vor seinem Haus zu treffen, wenn er eine besondere Gefahrenlage durch die Ableitung seiner Dachentwässerung auf den Gehweg geschaffen hat. Auf die Ortsüblichkeit einer solchen Entwässerung kommt es für die Frage der Begründung der Verkehrssicherungspflicht nicht an." Das Gericht erachtete allein die – im konkreten Fall zu klärende – Erforderlichkeit und Zumutbarkeit einer Räum- und Streupflicht als maßgeblich. Jedermann, der in seinem Verantwortungsbereich eine zusätzliche Gefahrenlage gleich welcher Art für Dritte schafft oder andauern lässt, hat die allgemeine Rechtspflicht, diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich und für ihn zumutbar sind, um die Schädigung Dritter zu verhindern.
B. Verkehrssicherungspflicht im Winter
Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht im Winter trifft den, der durch die Eröffnung eines Verkehrs auf einem Grundstück oder auf andere Weise Gefahrenquellen schafft; er hat sämtliche Maßnahmen zu treffen, die zum Schutze Dritter notwendig sind (= allgemeine Verkehrssicherungspflicht). Die Pflicht korrespondiert mit der Verkehrseröffnung. Zu berücksichtigen ist, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere zu gefährden, ist utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im prakt...