SGB VII § 110 Abs. 1
Leitsatz
Von den für die Sicherheit der Beschäftigten auf einer Arbeitsstelle Verantwortlichen ist die Kenntnis der zu beachtenden Sicherheitsbestimmungen zu fordern. Die mangelnde Kenntnis ist ein für die Beurteilung des Verschuldensgrades wesentlicher Umstand.
BGH, Urt. v. 18.2.2014 – VI ZR 51/13
Sachverhalt
Die Kl., eine gesetzliche Unfallversicherung, nimmt die Bekl. auf Erstattung von Aufwendungen in Anspruch, die ihr infolge eines Arbeitsunfalls des bei ihr versicherten Sch entstanden sind. Weiterhin begehrt sie die Feststellung der Verpflichtung der Bekl. zum Ersatz der durch den Arbeitsunfall verursachten künftigen Aufwendungen. Die beklagte Leiterin des Stadtbauhofs der Stadt R teilte den im Rahmen eines 1-Euro-Jobs als Hilfsarbeiter zugewiesenen Sch dazu ein, einen Graben, den der Baggerfahrer B ausheben sollte, von Hand nachzuschachten. Der Graben war ca. 1,80 Meter tief, am Boden 0,70 Meter und an der oberen Erdkante 1,80 Meter breit. Eine Sicherung gegen nachrutschendes Erdreich war nicht vorhanden. Als Sch, der über eine Leiter in den Graben gestiegen war, dort arbeitete, löste sich ein Erdbrocken, der Sch unter sich begrub. Sch wurde schwer verletzt. Die Kl. hat die Erstattung ihr entstandener Kosten für die Rettung, ärztliche Behandlung und wegen der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Sch verfolgt. Zur Begründung hat sie angeführt, die Bekl. habe es grob fahrlässig versäumt, für die Absicherung des Grabens gegen abrutschendes Erdreich zu sorgen.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Bekl. hat das BG das Urteil des LG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Eine grob fahrlässige Herbeiführung des Unfalls hat das BG mit der Begründung verneint, die Bekl. habe darauf vertrauen dürfen, dass der Baggerfahrer B, der schon länger bei der Stadt R beschäftigt und ihr als zuverlässig bekannt gewesen sei, vor einer Handschachtung die notwendigen Sicherungsmaßnahmen veranlassen werde. Die vom BG zugelassene Revision der Kl. führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das BG.
2 Aus den Gründen:
[6] "… Die Ausführungen des BG begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken."
[7] 1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ansatz des BG, dass nach § 110 Abs. 1 SGB VII Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist, den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen dann haften, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs. Für die Auslegung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit kann auf die zu § 640 Abs. 1 RVO a.F. ergangene Rspr. zurückgegriffen werden. Die Vorschrift in § 110 Abs. 1 SGB VII hat im Vergleich zu § 640 Abs. 1 RVO a.F., an dessen Stelle sie getreten ist, an dem haftungsauslösenden Verschuldensgrad nichts geändert (vgl. Senatsurt. v. 30.1.2001 – VI ZR 49/00, VersR 2001, 985, 986; BGH, Urt. v. 15.5.1997 – III ZR 250/95, NJW 1998, 298, 301; BT-Drucks 13/2204, S. 101). Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr erscheint eine Inanspruchnahme des haftungsprivilegierten Schädigers im Wege des Rückgriffs nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (vgl. Senatsurt. v. 30.1.2001 – VI ZR 49/00, a.a.O. und v. 12.1.1988 – VI ZR 158/87, VersR 1988, 474, 475 m.w.N. sowie BGH, Urt. v. 8.7.1992 – IV ZR 223/91, BGHZ 119, 147, 149). Dies hat das BG im Ansatzpunkt richtig gesehen.
[8] 2. Auch trifft die Rechtsauffassung des BG zu, dass sich die grobe Fahrlässigkeit der Bekl. nicht allein mit der Verletzung der geltenden Unfallverhütungsvorschriften begründen lässt. Nicht jeder Verstoß gegen die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften ist schon als ein grob fahrlässiges Verhalten i.S.d. § 110 SGB VII zu werten (vgl. Senatsurt. v. 8.5.1984 – VI ZR 296/82, VersR 1984, 775, 776; v. 21.10.1980 – VI ZR 265/79, VersR 1981, 75; v. 22.6.1971 – VI ZR 39/70, VersR 1971, 1019, 1020 und v. 8.10.1968 – VI ZR 164/67, VersR 1969, 39, 40). Vielmehr ist auch dann, wenn solche Verstöße gegen Sorgfaltsgebote vorliegen, eine Wertung des Verhaltens des Schädigers geboten, in die auch die weiteren Umstände des Einzelfalls einzubeziehen sind. So kommt es darauf an, ob es sich um eine Unfallverhütungsvorschrift handelt, die sich mit Vorrichtungen zum Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren ...