Will ein Vertragspartner sich vom Vergleich wieder lösen, sieht er sich kaum zu überwindender Hürden ausgesetzt. Behauptet er, dass die eingetretenen Unfallverletzungen sich derart verschlimmert haben, dass der Abfindungsbetrag in keinem vernünftigen Verhältnis (mehr) zur Heftigkeit seiner Leiden steht, wird ihm im Rahmen der geltenden BGH-Rechtsprechung entgegengehalten werden, dass Folgeverletzungen, die aus medizinischer Sicht bei Vertragsabschluss zumindest nicht ausgeschlossen waren, vom Risikobereich, also von seiner Risikosphäre umfasst und im Abgeltungsbetrag enthalten sind.
Behauptet er, dass es sich um Verletzungsfolgen handelt, die nicht vorsehbar waren, wird ihm entgegengehalten werden, dass der Wortlaut des Abfindungsvergleichs genau diese Schäden ebenfalls umfasst.
Beruft er sich auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage oder einen beiderseitigen Irrtum nach § 779 BGB, wird ihm entgegengehalten werden, dass eben Geschäftsgrundlage des Vergleichs die Abfindung sämtlicher Unfallschäden war.
Indes zeigt die Rechtsprechung, dass sie helfen kann, wenn sie helfen muss. Das Rechtsinstitut, dem sich sämtliche Privatvereinbarungen zu beugen haben, ist das des "Treu und Glauben", § 242 BGB. Gelingt es derjenigen Partei, die sich auf Unwirksamkeit des Vergleichs berufen will, zur Überzeugung des Gerichts zu beweisen, dass das Festhalten am Vergleich wegen eines extrem gelagerten Ausnahmefalles eine derartige Ungerechtigkeit ist, dass es ein untragbares Ergebnis und mit der Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren wäre, am Vertrag festzuhalten, wird sich eventuell eine Möglichkeit der Abänderung ergeben. Die Grenzen dessen, was die Parteien regeln wollten und somit die Grenzen der Geschäftsgrundlage eines Vergleichs, sind letztlich durch Auslegung zu ermitteln. Sie definieren sich zum einen über die Höhe des Abfindungsbetrags im Verhältnis zur eingetretenen Verletzung, aber auch daraus, worauf es den Parteien letztlich ankam. Diese Erkenntnis muss sich nicht zwingend aus dem Vergleichstext selbst ergeben. Zur Klärung der Frage, ob Umstände vorliegen, an welche keine der Parteien bei Abschluss des Vertrags überhaupt je gedacht hat, der abgeschlossene Vergleich also die Wirklichkeit nicht abbildet oder derart ungerecht ist, dass der Anwendungsbereich des § 242 BGG eröffnet wird, lässt sich ergänzend feststellen anhand von Begleitmaterialien, die im Rahmen der Vergleichsverhandlungen gefertigt wurden. Denn Grundlage der beiderseitigen Vorstellungen über den Umfang des Personenschadens im Zeitpunkt der Vergleichsfindung, betragsmäßige Einschätzungen künftig eintretender Schmerzensgeld- oder Erwerbsunfähigkeitsrenten, Auskünfte und Hinweise des befassten Versicherers oder des Bevollmächtigten des Vertragspartners, wie die Vereinbarung gemeint sein soll, ergeben sich mitunter aus Begleitschreiben, schriftlich fixierten telefonischen Unterredungen oder auch Hinweisen des Versicherers, beispielsweise zur Reichweite der beabsichtigten Vereinbarung. Dieser Fundus an Materialien, der gerade bei größeren Schäden und jahrelanger Korrespondenz mit dem Versicherer mit Sicherheit existiert, sollte vom Bevollmächtigten des Geschädigten, der sich vom Vergleich lösen will oder diesen anpassen will, nicht unterschätzt werden. Auch kann eine Kontrollüberlegung hilfreich sein: Ist eine Unfallfolge eingetreten, die so unwahrscheinlich ist, dass der Anspruch nach der BGH-Rechtsprechung nicht verjährt wäre, weil an diese keine der Parteien je gedacht hat? Ist diese Unfallfolge ferner so gravierend, dass sie nach Treu und Glaube eine Abänderung verlangt? Diese Kontrollüberlegung ist auch deshalb von Bedeutung, weil mit Abschluss eines Risikovergleichs regelmäßig die Verhandlungen über den Anspruch enden dürften und der Versicherer schriftlich über diesen i.S.v. § 115 VVG entschieden haben dürfte. Die Verjährungsfrage von Ansprüchen, die trotz des Vergleichs noch geltend gemacht werden sollen, darf daher nicht aus den Augen gelassen werden.
Autor: RA Dr. Norbert Meinel , FA für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht, Tübingen
zfs 8/2014, S. 431 - 433