StPO § 147 § 304

Leitsatz

1. Jedenfalls wenn ein gerichtlich bestellter Sachverständiger die Messserie des gesamten Messtages benötigt, um gutachterlich beurteilen zu können, ob ein standardisiertes Messverfahren vorlag, ist die Bußgeldbehörde nach Beschluss des Gerichts verpflichtet, die entsprechenden Daten zur Verfügung zu stellen.

2. Der Herausgabe der Daten der Messserie an den gerichtlich bestellten Sachverständigen stehen auch keine datenschutzrechtlichen Bedenken entgegen.

LG Konstanz, Beschl. v. 18.9.2018 – 4 Qs 57/18

Sachverhalt

In einem Bußgeldverfahren wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hat das AG einen Sachverständigen zur Überprüfung der Richtigkeit der Messung zum anberaumten Hauptverhandlungstermin geladen. Mit Beschluss verpflichtete das AG das Landratsamt, dem Sachverständigen die Daten der gesamten Messreihe, zu der die Messung des Betr. gehört, herauszugeben. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Sachverständige mitgeteilt habe, es sei ohne Beiziehung der gesamten Messreihe nicht möglich, eine sichere Aussage darüber zu treffen, ob es sich bei einer Messung um ein standardisiertes Messverfahren handele oder nicht. Zur Klärung dieser entscheidenden Frage sei es daher unverzichtbar, auf die gesamte Messreihe und nicht nur auf die hinsichtlich des Betr. bestehende Datei zugreifen zu können.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerde des Landratsamtes. Das für die "eigene" Falldatei geltende Einsichtsrecht bei der Verwaltungsbehörde gelte nicht für die gesamte "Messreihe". Es sei gegenüber der Verwaltungsbehörde tatsachenfundiert vorzutragen, warum die gesamte Messreihe benötigt und dabei in die grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrechte Dritter eingegriffen werden solle. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Zudem verletze die Verarbeitung von Bildern auf einem Datenträger die nicht Verfahrensbeteiligten und Betr. ohne deren Zustimmung in deren Rechten, da es sich um deren personenbezogene Daten handele. Die amtlichen Kennzeichen der Fahrzeuge sowie die Standortdaten nebst dem Fahrer und ggf. Beifahrer (Dritte) seien auf den Bildern zu erkennen, die zu schützen seien. Der Datenschutz könne gewährleistet werden, soweit der Sachverständige die Einsicht auf der Dienststelle der Verwaltungsbehörde nach Terminvereinbarung durchführe.

Das LG Konstanz hat die Beschwerde des Landratsamtes gegen den Beschluss des AG als unbegründet zurückgewiesen.

2 Aus den Gründen:

"… II. Es ist bereits fraglich, ob die Beschwerde des Landratsamtes B. gegen den Beschluss des AG vom 22.6.2018 zulässig ist. Gem. § 71 Abs. 2 Nr. 2 OWiG kann das AG zur besseren Aufklärung der Sache von Behörden oder sonstigen Stellen die Abgabe von Erklärungen über dienstliche Wahrnehmungen, Untersuchungen und Erkenntnisse verlangen. Dies hat das AG durch den angefochtenen Beschluss dementsprechend getan. Die vom Gericht nach § 72 Abs. 2 S. 1 OWiG getroffenen Anordnungen unterliegen als Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, in entsprechender Anwendung von § 305 S. 1 StPO grds. nicht der Beschwerde. Dies gilt nach § 305 S. 2 StPO allerdings nicht für Entscheidungen, durch die dritte Personen betroffen werden. Es kann hier aber letztlich dahingestellt bleiben, ob die Bußgeldbehörde, die am gerichtlichen Verfahren nicht unmittelbar beteiligt ist, aber von der Anordnung des Gerichts betroffen wird, als “dritte Person‘ i.S.v. § 305 StPO anzusehen ist, denn ihre Beschwerde ist jedenfalls aus Sicht der Kammer nicht begründet."

Ob generell ein Einsichtsrecht in die kompletten Messdaten einer Messreihe besteht, ist in der Rspr. umstritten. Von der nunmehr wohl herrschenden Rspr. wird dies bejaht (vgl. AG Wittlich, Beschl. v. 6.8.2018 – 36b OWi 8011 Js 21030/18 jug, BeckRS 2018, 18700; AG Detmold, Beschl. v. 19.6.2018 – 4 OWi 779/18, BeckRS 2018, 13955; AG Neumünster, Beschl. v. 17.5.2018 – 224 OWi 109/18, BeckRS 2018, 13759; AG Daun, Beschl. v. 4.4.2018 – 4a OWi 28/18, BeckRS 2018, 5541; AG Saarburg, Beschl. v. 1.2.2018 – 8 OWi 1/18, BeckRS 2018, 3969; LG Trier, Beschl. v. 14.9.2017 – 1 Qs 46/17, juris; LG Neubrandenburg, Beschl. v. 30.9.2015 – 82 Qs 112/15, BeckRS 2015, 20027). Ein Recht auf Einsicht – auch in die gesamte Messserie – wird dabei aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens hergeleitet. Zur Begründung wird meist ausgeführt, dass bei Geschwindigkeitsmessungen mit standardisierten Messverfahren durch die Physikalisch-Technische-Bundesanstalt (PTB) im Wege eines antizipierten Sachverständigengutachtens die grundsätzliche Zuverlässigkeit der Messung festgestellt worden sei. Der Betr. müsse daher, wenn er die Richtigkeit der Messung angreifen wolle, im jeweiligen Verfahren konkrete Anhaltspunkte darlegen, die für eine Unrichtigkeit der Messung sprechen. Ein solcher dezidierter Vortrag sei dem Betr. jedoch nur dann möglich, wenn er – bzw. sein Verteidiger – auch Zugang zu den entsprechenden Messunterlagen habe. Das LG Trier führt aus, dass nicht verlangt werden könne, dass bereits vor Einsicht in die Messserie kon...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?