ZPO § 91a § 93
Leitsatz
Die Prüffrist des Kfz-Pflichtversicherers beginnt mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens. Für den Zugang dieses Schreibens ist auch im Anwendungsbereich des § 93 ZPO der geschädigte Anspruchsteller darlegungs- und beweisbelastet.
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 17.5.2019 – 4 W 4/19
Sachverhalt
Der Kl. hatte am 29.8.2018 einen Verkehrsunfall erlitten, für dessen Folgen er die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung vor dem LG Saarbrücken in Anspruch genommen hat. Am 30.8.2018 gab der Kl. ein Schadengutachten in Auftrag, das am 13.9.2018 erstellt wurde. Der Prozessbevollmächtigte des Kl. schrieb die beklagte Haftpflichtversicherung am 24.9.2018 per E-Mail mit der Aufforderung an, den näher bezifferten Schadensbetrag "innerhalb von 14 Tagen ab Datum vorliegenden Schreibens" auf sein Fremdgeldkonto zu überweisen. Mit weiterem Anwaltsschreiben vom 11.10.2018 wurde die Bekl. aufgefordert, das Schreiben vom 24.9.2018 nunmehr "innerhalb von 7 Tagen ab dem Datum vorliegenden Schreibens zu erledigen". Anderenfalls werde Klage eingereicht.
Die Bekl. bestätigte zu Händen der Klägervertreter per E-Mail vom 30.10.2018, sie werde für den unfallbedingten Schaden am Fahrzeug des Kl. dem Grunde nach aufkommen. Das Schreiben vom 24.9.2018 liege jedoch nicht vor. Deshalb bitte sie, die Schadensersatzansprüche zu beziffern und zu belegen.
Am 5.11.2018 reichte der Kl. die auf den 24.10.2018 datierte Klageschrift beim LG Saarbrücken ein. Die Gerichtskosten zahlte der Kl. bereits am 2.11.2018 an die Gerichtszahlstelle.
Nach Klagezustellung meldete sich die Bekl. selbst mit Schreiben vom 9.11.2018 und teilte mit, von einer Prozessführung Abstand nehmen zu wollen. Der Klagebetrag sei am selben Tage überwiesen worden. Deshalb gehe sie von einer Klagerücknahme aus. Für den Fall, dass die Erledigung der Hauptsache erklärt werde, stimme sie dem ausdrücklich zu. Zugleich verwahrte sich die Bekl. gegen die Kostenlast unter Hinweis auf ihr Schreiben vom 30.10.2018.
Hieraufhin erklärte der Kl. den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte, die Kosten des Rechtsstreits der Bekl. aufzuerlegen. Durch Beschl. v. 10.1.2019 erlegte das LG Saarbrücken der Bekl. die Kosten des Rechtsstreits auf. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Bekl. hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"… [15] II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet."
[16] Die Bekl. rügt zu Recht, dass ihr im Rahmen der angefochtenen Entscheidung nach § 91a StPO die Kosten des Rechtsstreits auferlegt wurden. Sie hat nämlich keine Veranlassung zur Klage gegeben und unmittelbar nach Klagezustellung reguliert, weshalb unter Anwendung des Grundsatzes von § 93 ZPO die Kosten dem Kl. aufzuerlegen sind.
[17] Im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO gelten die allgemeinen Kostengrundsätze der §§ 91 ff. ZPO, weshalb auch § 93 ZPO mit der Maßgabe Bedeutung gewinnt, dass dem Kl. die Kosten aufzuerlegen sind, wenn ihm keine Veranlassung zur Klage gegeben wird und die Bekl. unmittelbar nach Kenntnis einer spezifizierten Anspruchsbegründung zahlt.
[18] 1. Die Bekl. hatte dem Kl. bereits mit Schreiben vom 30.10.2018 vor Klageeinreichung signalisiert, grds. in die Regulierung einzutreten. Sie bat lediglich um Bezifferung des Schadens unter Hinweis darauf, dass das Schreiben vom 24.9.2018 nicht angekommen sei. Bei Verfassen der Klageschrift am 24.10.2018 war dem Klägervertreter die Regulierungsbereitschaft der Bekl. zwar noch nicht bekannt, wohl aber bei Klageeinreichung am 5.11.2018 und auch bei Zahlung der Gerichtskosten am 2.11.2018.
[19] Bei objektiver Beurteilung des maßgeblichen vorprozessualen Verhaltens hat die Bekl. daher keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben. Veranlassung zur Erhebung einer Klage gibt der Bekl. durch ein Verhalten, das vernünftigerweise den Schluss auf die Notwendigkeit eines Prozesses rechtfertigt (BGH AGS 2015, 88 = NJW-RR 2005, 1005, 1006), wenn also das Verhalten des Bekl. vor dem Prozess aus der Sicht des Kl. bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen (BGH zfs 2007, 261 m. Anm. Diehl = AGS 2006, 454 = BGHZ 168, 57-64; Senat NJW-RR 2017, 697).
[20] 2. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bekl. als Kraftfahrt-Pflichtversicherer, der nach einem Verkehrsunfall in Anspruch genommen wird, eine Prüfungszeit zuzubilligen ist, die mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens beginnt und vor deren Ablauf Verzug nicht eintritt und auch eine Klage nicht veranlasst ist (Senat NJW-RR 2017, 697; Senat zfs 2019, 149; Freymann/Rüßmann, in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl., § 249 BGB Rn 276). Erhebt der Geschädigte vor Ablauf dieser Prüffrist Klage, kann der Versicherer noch ein sofortiges Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast (§ 93 ZPO) abgeben oder bei fristgerechter Regulierung und anschließender Klagerücknahme oder übereinstimmender Erledigungserklärung auf eine ihm günstige Kostenentscheidung vertrauen (vgl. KG VersR 2009, 1...