1) Die lang erwartete Grundsatzentscheidung des BGH zur Herstellerhaftung in den Dieselmanipulationsfällen hat nach der Publikation des Beschl. des BGH v. 8.1.2019 (zfs 2019, 321) keine Überraschungen gebracht, für die Instanzgerichte bietet sie eine übersichtliche Richtschnur zur Bearbeitung der noch offenen Rechtsstreite der Dieselabgasfälle. Der Umfang der nach dem Abschluss des zugehörigen Musterfeststellungsverfahrens noch nicht abgeschlossenen Verfahren dürfte für Sammelklagen, Individualklagen und "Rückläufer" aus den Musterfeststellungsklagen über 100.000 liegen (vgl. Diehl zfs 2019, 625; Langheid VersR 2020, 789). Sollte der Praxistest des Musterfeststellungsverfahrens ergeben, dass nach Absolvierung des Musterfeststellungsverfahrens die in Einzelfällen entscheidungserheblichen Haftungseinwände erst in einem folgenden Individualrechtsstreit zu klären sind, was den Wert des Musterfeststellungsrechtsstreits beeinträchtigt, würden diese noch nicht entscheidungsreifen Verfahren in der Individualrechtsphase zu klären sein (vgl. Langheid a.a.O).
2) Bei dem Lösungsweg konnte der BGH an die Ausführungen des Berufungsurteils des OLG Koblenz (veröffentlicht in zfs 2019, 615 ff.; zustimmend besprochen von Büdenbender EWiR 2019, 497) anknüpfen.
Mit dem Einstieg in die Haftungsnorm des § 826 BGB und der daraus folgenden Bestimmung des Schadens vermeidet der BGH eine Klärung der Frage, ob mit dem Erwerb des abgasmanipulierten Kfz auch eine Verschlechterung der Vermögensbilanz des Erwerbers eingetreten ist. Da der Schaden vielmehr schon deshalb anzunehmen ist, weil der Erwerber einen unvorteilhaften Vertrag abgeschlossen hat, der ihn der Gefahr einer Stilllegung des Kfz aussetzt, liegt aufgrund der Einbeziehung des subjektiven Schadenseinschlags – dessen Berücksichtigung aus dem Strafrecht entnommen wird (vgl. BGH NJW 2012, 3647 Rn 64; eingehend Riehm NJW 2019, 1105 (1106)) eine deutliche Beschränkung der zu prüfenden Anspruchsvoraussetzungen vor. Ein Verteidigungsvorbringen des in Anspruch genommenen Herstellers, der erworbene Pkw sei seinen Preis wert gewesen, ist unerheblich, sodass die Anknüpfung an § 826 mit der Begründung, es habe ein unvorteilhafter Kauf eines abgasmanipulierten Kfz stattgefunden, zu einer deutlichen Beschränkung des Prozessstoffs führt.
Die ausführliche – unter Erörterung der europarechtlichen Voraussetzungen des Typengenehmigungsverfahrens für Kraftfahrzeuge erfolgende – Bestimmung der Arglist des Herstellers im Zulassungsverfahren nicht nur gegenüber dem Ersterwerber, sondern auch von Folgeerwerbern des Gebrauchtfahrzeugs, die Sittenwidrigkeit des Verhaltens des Herstellers und die besondere Verwerflichkeit der sich gegen die Erwerber richtenden Gesinnung ist musterhaft. Gestützt wird das negative Unwerturteil über das Verhalten des Herstellers durch die aus dem Vorgehen des Herstellers abzuleitende Motivlage einer strategischen Unternehmensentscheidung, die sich an einer Kostensenkung und Gewinnsteigerung mit rechtswidrigen Mitteln unter Benachteiligung der Erwerber orientiert.
Da andere Motivlagen für das Verhalten des Herstellers nicht angenommen werden können, sind Sittenwidrigkeit und Verwerflichkeit des zusätzlich durch Auslegung gewonnenen Motivs des Herstellers mit Recht zugrunde gelegt worden.
3) Auch die Zurechnung der Abgasmanipulation des Herstellers durch die Einordnung des Leiters der Entwicklungsabteilung erscheint nicht zweifelhaft. Da die Bekl. weder zu der Organisationsstruktur noch zu der Arbeitsorganisation bei der Zulassung von Kfz Vortrag gehalten hatte, ist der BGH mit Recht davon ausgegangen, dass der Leiter der Entwicklungsabteilung im Zulassungsverfahren verfassungsmäßiger Vertreter der Bekl. gewesen ist, die von ihm angeordnete zu beanstandende Täuschung im Abgasprüfungsverfahren damit der Bekl. zuzurechnen ist. Da die Bekl. durch Verschweigen der Organisationsstruktur "mauerte", durfte der BGH davon ausgehen, dass der Leiter der Entwicklungsabteilung bei seiner Tätigkeit eine wesentliche Unternehmensaufgabe erfüllte und bei der Abgasprüfung die Kontrolle in vollem Umfang ausübte. Ohne die Abgasprüfung konnte das Fahrzeug nicht zugelassen und damit verkauft werden, sodass der Leiter der Entwicklungsabteilung die für die Annahme seiner Eigenschaft eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters erforderliche Stellung hatte.
4) Von großer praktischer Bedeutung sind die Ausführungen des BGH zur Zurechnung der Täuschung sowohl der Genehmigungsbehörde als auch den Erwerbern gegenüber aufgrund einer Kenntnis des Vorstandes hinsichtlich der Abgasmanipulation (Rn 34–43). Da schon eine Zurechnung des Kenntnisstandes des Leiters der Entwicklungsabteilung bezüglich der Abgasmanipulation vorlag, spricht dies dafür, dass eine Hilfsüberlegung zur Zurechnung der Abgasmanipulation vorlag. Gäbe es den Leiter der Entwicklungsabteilung nicht, befände sich der Erwerber hinsichtlich der Zurechnung der Abgasmanipulation in einer misslichen Beweislage, es sei denn, diese ließ sich dadurch übe...