Die unbekannten Versicherungen in der Haftpflichtschadenregulierung
A. Einleitung
Ausweislich der durch den Verfasser regelmäßig durchgeführten Fortbildungsveranstaltungen für Fachanwälte im Verkehrsrecht ist offenkundig, dass die Fahrerschutz- und Forderungsausfallversicherung den allermeisten Fachanwälten unbekannt sind. Dies ist für Geschädigte fatal, weil sie den ihnen zustehenden Ersatzanspruch nicht erhalten, und für den handelnden Rechtsanwalt in höchstem Maße haftungsträchtig, was aufzuzeigen sein wird. Der vorliegende Aufsatz soll "Licht ins Dunkel" bringen und aufzeigen, welche vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten bei den angesprochenen Versicherungen bestehen.
Von daher sollen zunächst die einzelnen Versicherungen näher angeschaut und im Folgenden die vielfältigen Anwendungsbereiche dargestellt werden. Der Aufsatz wird aufzeigen, dass die Kenntnis der beiden Versicherungen nicht nur zur Haftungsreduzierung des tätigen Rechtsanwalts führt, sondern zugleich Mandate generiert werden, die sonst nicht geführt werden. Wer kennt nicht den Spruch "kein gutes Geld schlechtem hinterherwerfen". Wer die Forderungsausfallversicherung kennt, wird selbstredend auch eine Titulierung gegenüber dem ersichtlich nicht leistungsfähigen Schuldner herbeiführen. Wer den Anwendungsbereich der Fahrerschutzversicherung kennt, wird nicht nur das angetragene Mandat der Verteidigung wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung annehmen, sondern den ebenfalls schwer verletzten Mandanten danach befragen, ob er über eine Fahrerschutzversicherung verfügt. Er wird hier nämlich regelmäßig den gleichen Ersatzanspruch durchsetzen können, wie dies bei einem sonstigen Mitfahrer der Fall wäre.
Er wird darüber hinaus bei einem nicht rechtsschutzversicherten Mandanten und einem möglicherweise unaufklärbaren Unfallgeschehen mit diesem diskutieren, ob es nicht sachgerechter ist, auf einen Prozess gegenüber dem gegnerischen Haftpflichtversicherer zu verzichten und anstelle dessen die fehlenden 50 % bei dem eigenen Haftpflichtversicherer geltend zu machen.
Der Aufsatz soll schließlich aufzeigen, dass Ansprüche aus der Fahrerschutz- oder Forderungsausfallversicherung gegebenenfalls selbst dann geltend gemacht werden können, wenn ein entsprechender Einschluss in den Versicherungsvertrag nicht erfolgt ist. Dies im Hinblick darauf, dass entsprechende Belehrungen und Aufklärungen durch den Versicherungsagenten bzw. den Versicherungsmakler häufig nicht erfolgen und dementsprechend in nicht seltenen Fällen diese aus der sogenannten Quasideckung in Anspruch genommen werden können.
B. Fahrerschutzversicherung
I. Einleitung
Die Fahrerschutzversicherung wurde in Skandinavien entwickelt und war auch in Belgien und Luxemburg verbreitet, bevor sie dann 2002 auch in Deutschland durch die Volksfürsorge eingeführt wurde. Seit Geltung des Schadensrechtsänderungsgesetzes vom 1.8.2002 sind sämtliche Insassen im Fahrzeug im Hinblick auf die Ausdehnung der Gefährdungshaftung im Rahmen von § 8a StVG geschützt gegen eigene, verschuldensunabhängige Ansprüche, die gegen den Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs zuerkannt werden. Allein der Führer des Kraftfahrzeugs ist gemäß § 8 Ziff. 2 StVG von den entsprechenden Ansprüchen ausgenommen. Der Ausschluss des Fahrers aus der weiten Haftung des § 7 StVG wird letztlich durch die Fahrerschutzversicherung in vielen Fällen eliminiert. Von daher wird die Fahrerschutzversicherung sehr häufig auch als eine Art "Vollkaskoversicherung für Personenschäden" bezeichnet.
Im Jahre 2016 wurden 2.585.327 Unfälle polizeilich erfasst. Die Anzahl der insgesamt verunglückten Personen incl. Beifahrer und sonstiger Insassen bei einem Verkehrsunfall lag im Jahre 2016 bei knapp 400.000 Personen.
Im Jahre 2020 hat sich – vermutlich auch coronabedingt – eine erhebliche Reduzierung ergeben. Es wurden insgesamt 2.245.245 Unfälle polizeilich erfasst. Die Zahl der insgesamt Verletzten und Getöteten ging erfreulicherweise zurück auf eine Zahl von rund 330.000 Personen. Es starben allein noch 2.719 Personen im Verkehr. Hinter jedem Toten und jedem Schwerverletzten steht ein persönliches Schicksal. Viele der Getöteten und Schwerverletzten werden den Unfall selbst verschuldet haben. Hier kann die Fahrerschutzversicherung ebenso hilfreich sein wie in Fällen, in denen ein Mitverschulden gegeben ist mit der Folge, dass der Kraftfahrzeugführer bei der gegnerischen Haftpflichtversicherung jedenfalls keinen 100 %tigen Ersatz zu beanspruchen vermag.
Im Jahre 2019 bestanden bei den Mitgliedsunternehmen des GDV 121 Mio. Kraftfahrtversicherungsverträge. Von diesen Verträgen entfielen 66,1 Mio. auf die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Daneben wurden 50,5 Mio. Fahrzeugversicherungen unterhalten, wobei es sich bei gut 30 Mio. um Fahrzeugvollversicherungen und bei knapp 20 Mio. um Teilkaskoversicherungs...