StVG § 2 Abs. 2 und 4; FeV § 11 Abs. 1 und 8 § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. a und c § 20 Abs. 1, FeV Anlage 4 Nr. 8.1 und 8.2
Leitsatz
Zur Klärung von Zweifeln an der Fahreignung ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn der Betroffene bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug zwar eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von weniger als 1,6 Promille aufwies, bei ihm aber trotz einer BAK von 1,1 Promille oder mehr keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt wurden. Bei solchen Anhaltspunkten für eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung und eine damit einhergehende erhöhte Wiederholungsgefahr begründen sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV).
BVerwG, Urt. v. 17.3.2021 – 3 C 3.20
Sachverhalt
Der Kl. begehrt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Nach einer Trunkenheitsfahrt, bei der die Blutprobe eine BAK von 1,3 Promille ergeben hatte, verurteilte ihn das Strafgericht wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) und entzog ihm die Fahrerlaubnis. Als der Kl. bei der Bekl. die Neuerteilung der Fahrerlaubnis beantragte, forderte sie ihn gestützt auf § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. a FeV auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Klärung der Frage beizubringen, ob er trotz der Hinweise auf Alkoholmissbrauch ein Fahrzeug sicher führen könne und nicht zu erwarten sei, dass er ein Kfz unter einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholeinfluss führen werde. Weil der Kl. ein solches Gutachten nicht vorlegte, lehnte die Bekl. seinen Neuerteilungsantrag gestützt auf § 11 Abs. 8 S. 1 FeV ab. Die hiergegen gerichtete Klage hat das VG Kassel abgewiesen (VG Kassel, Urt. v. 12.11.2018 – VG 2 K 1637/18.KS). Auf die Berufung des Kl. hat der HessVGH das Urt. geändert und die Bekl. verpflichtet, die beantragte Fahrerlaubnis ohne vorherige Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens zu erteilen (HessVGH, Urt. v. 22.10.2019 – VGH 2 A 641/19). Entgegen der Auffassung der Bekl. und des VG genüge bei der dem Kl. vorzuhaltenden einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer BAK von 1,3 Promille allein das Fehlen von Ausfallerscheinungen nicht, um als sonstige Tatsache i.S.d. § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu rechtfertigen. Das BVerwG hat das Berufungsurteil geändert und die Berufung des Kl. gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
"… II"
[13] 2. Nach § 20 Abs. 1 S. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften für die Ersterteilung. Gemäß § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StVG müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein …
[14] 3. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist der Umstand, dass bei der Trunkenheitsfahrt des Kl. und der anschließenden Blutentnahme keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt wurden, obwohl die Blutprobe eine BAK von 1,3 Promille – und damit einen Zustand, der von den Strafgerichten als absolute Fahruntüchtigkeit bewertet wird – aufgewiesen hatte, eine sonstige Tatsache im Sinne von § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründet. Dieser zur hohen BAK hinzutretende Umstand, der für die Frage bedeutsam ist, ob beim Kl. das erhöhte Risiko einer weiteren Trunkenheitsfahrt und damit eines erneuten Alkoholmissbrauchs besteht, rechtfertigte die an ihn ergangene Aufforderung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen.
[15] a) Gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (Buchst. a), wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden (Buchst. b), ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde (Buchst. c), die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründen entzogen war (Buchst. d) oder sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht (Buchst. e).
[16] b) Die Bekl. war berechtigt, vom Kl. auf der Grundlage von § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern. In dem Umstand, dass der Kl. trotz des hohen Blutalkoholpegels bei der Polizeikontrolle und der anschließenden Blutentnahme nahezu keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen gezeigt hatte, durfte die Bekl. eine sonstige Tatsache im Sinne dieser Regelung sehen, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründet (ebenso OVG Magdeburg, Beschl. v. 22.4.2020 – 3 M 30/20 – Blutalkohol 2020, 241 <242>; OVG Greifswald, Beschl. v. 19...