ARB 2009 Ziff. 5.5
Leitsatz
1. Ob die Voraussetzungen für den Leistungsausschluss nach Ziffer 5.5 Satz 1 ARB-MPM 2009 vorliegen, insbesondere der Versicherungsnehmer oder Versicherte vorsätzlich eine Straftat begangen hat, ist im Deckungsprozess zu klären. Dabei besteht weder eine Bindung an die Ergebnisse eines gegen den Versicherungsnehmer oder Versicherten geführten Ermittlungsverfahrens oder des Ausgangsrechtsstreits noch ist der Rechtsschutzversicherer bis zu deren Abschluss vorläufig leistungspflichtig.
2. Der Versicherer ist für die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach Ziffer 5.5 Satz 1 ARB-MPM 2009 darlegungs- und beweisbelastet.
BGH, Urt. v. 20.5.2021 – IV ZR 324/19
Sachverhalt
Die Klägerin verlangt von der Beklagten, einem Schadenabwicklungsunternehmen, aus einer Rechtsschutzversicherung, die ihren Lebensgefährten als mitversicherte Person einschließt, Deckungsschutz für ein arbeitsgerichtliches Verfahren zur Abwehr einer Schadensersatzforderung, die der Arbeitgeber des Versicherten gegen diesen geltend macht.
Dem Vertrag liegen ARB zugrunde. Nach Ziffer 4.2 ARB die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen“ umfasst. Ziffer 23.1.1 ARB sieht vor, dass die Beklagte den Rechtsschutz ablehnen kann, wenn nach ihrer Auffassung die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. In Ziffer 5 ARB heißt es unter "Welche Ausschlüsse sind zu beachten?" auszugsweise:
"Rechtsschutz besteht nicht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen"
5.5 soweit in den Fällen der Ziff. 4.1 bis 4.8 ein ursächlicher Zusammenhang mit einer von Ihnen vorsätzlich begangenen Straftat besteht. Stellt sich ein solcher Zusammenhang im Nachhinein heraus, sind Sie zur Rückzahlung der Leistungen verpflichtet, die wir für Sie erbracht haben.“
Nach Ziffer 27.2 Satz 1 ARB gelten die den Versicherungsnehmer betreffenden Bestimmungen sinngemäß für die mitversicherte Person. Zu den versicherbaren Leistungsarten ist in Ziffer 4 ARB unter anderem geregelt:
"4.9 Straf-Rechtsschutz"
für die Verteidigung wegen des Vorwurfes
4.9.1 eines verkehrsrechtlichen Vergehens. Wird rechtskräftig festgestellt, dass Sie das Vergehen vorsätzlich begangen haben, sind Sie verpflichtet uns die Kosten zu erstatten, die wir für die Verteidigung wegen des Vorwurfes eines vorsätzlichen Verhaltens getragen haben;
4.9.2 eines sonstigen Vergehens, dessen vorsätzliche wie auch fahrlässige Begehung strafbar ist, solange Ihnen ein fahrlässiges Verhalten vorgeworfen wird. Wird Ihnen dagegen vorgeworfen, ein solches Vergehen vorsätzlich begangen zu haben, besteht rückwirkend Versicherungsschutz, wenn nicht rechtskräftig festgestellt wird, dass Sie vorsätzlich gehandelt haben.
4.9.3 Es besteht also bei dem Vorwurf eines Verbrechens kein Versicherungsschutz; ebenso wenig bei dem Vorwurf eines Vergehens, das nur vorsätzlich begangen werden kann (z.B. Beleidigung, Diebstahl, Betrug). Dabei kommt es weder auf die Berechtigung des Vorwurfes noch auf den Ausgang des Strafverfahrens an.“
Die Staatsanwaltschaft leitete gegen den Versicherten ein Ermittlungsverfahren wegen mehrfachen Computerbetrugs im besonders schweren Fall und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr sowie weiterer Vorsatztaten ein. Grund dafür war, dass er an der Abrechnung externer Dienstleistungen, die tatsächlich nicht erbracht wurden, zum Nachteil seines Arbeitgebers mittäterschaftlich beteiligt gewesen sein soll.
Gestützt auf diese Vorwürfe, die der Versicherte bestreitet, macht sein Arbeitgeber gegen ihn Schadensersatzansprüche in Höhe von 2.234.695,20 EUR vor dem Arbeitsgericht geltend. Das ArbG hat dem Versicherten zur Rechtsverteidigung Prozesskostenhilfe bewilligt.
Die Beklagte lehnte den für die Abwehr der Schadensersatzansprüche erbetenen Deckungsschutz unter Bezugnahme auf den Risikoausschluss in Ziffer 5.5 ARB ab.
2 Aus den Gründen:
… II 1. Zutreffend hat das BG allerdings entschieden, dass die Beklagte den Rechtsschutz nicht nach Ziffer 23.1.1 ARB verweigern kann. Es hat festgestellt, dass die Rechtsverteidigung des Versicherten in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Demnach kann offenbleiben, ob sich die Beklagte nicht rechtzeitig auf den Einwand fehlender Erfolgsaussicht berufen hat (vgl. hierzu Senat VersR 2003, 638).
2. Zu Unrecht hat das BG aber angenommen, der Versicherer könne sich im Deckungsprozess nicht auf den Risikoausschluss in Ziffer 5.5 ARB berufen und bleibe vorläufig leistungspflichtig, wenn der Versicherungsnehmer die Begehung einer vorsätzlichen Straftat bestreite.
a) Ob der Vorwurf, der Versicherungsfall stehe in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer vorsätzlich begangenen Straftat, im Deckungsprozess zu klären ist und ob anderenfalls der Versicherer bis zu einer anderweitigen Klärung vorläufig leistungsfrei oder leistungspflichtig ist, ist umstritten. Die gleichen Fragen stellen sich, wenn der Risikoausschluss statt einer – wie hier in Ziffer 5.5 ARB – vorsätzlich begangenen Straftat die vorsätzliche Verursachung des Versicherun...