ZPO § 233 S. 1 § 520 Abs. 2 S. 2 § 520 Abs. 2 S. 3
Leitsatz
Ein Prozessbevollmächtigter, der erkennt, eine Rechtsmittelbegründungsfrist nicht einhalten zu können, muss durch einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Fristverlängerung dafür Sorge tragen, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht notwendig wird. Dies setzt allerdings voraus, dass die Fristverlängerung rechtlich zulässig und ein Vertrauen auf deren Bewilligung begründet ist (Fortführung von BGH, Beschl. v. 1.7.2013 – VI ZB 18/12, NJW 2013, 3181 Rn 9).
BGH, Beschl. v. 27.5.2021 – III ZB 64/20
1 Aus den Gründen:
I.
[1] Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht Ansprüche aus Mobilfunkverträgen geltend. Durch Urt. v. 6.5.2020 hat das Amtsgericht die Beklagte bei Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 3.445,81 EUR zu zahlen. Dieses Urteil ist der Beklagten am 18.5.2020 zugestellt worden. Mit am selben Tag beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 12.6.2020 hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung ist antragsgemäß bis zum 20.8.2020 verlängert worden. Mit Schriftsatz vom 6.8.2020 haben sich neue Prozessbevollmächtigte für die Beklagte bestellt und – mit Zustimmung der Klägerin – beantragt, die Berufungsbegründungsfrist bis zum 4.9.2020 zu verlängern, da sich der sachbearbeitende Rechtsanwalt bis zum 23.8.2020 in Urlaub befinde. Diesen Antrag hat das Landgericht durch Verfügung des Berichterstatters vom 11.8.2020 mit der Begründung abgelehnt, zwar sei die Beklagte nicht gehindert, während des Laufs der Berufungsbegründungsfrist den Anwalt zu wechseln; sie könne allerdings keinen Anwalt beauftragen, der innerhalb dieser Frist in Urlaub gehe. Jedenfalls könne jener allein aufgrund dieser Sachlage keine erheblichen Gründe geltend machen, die eine weitere Verlängerung rechtfertigen könnten. Am 21.8.2020 ist die von der ursprünglichen Prozessbevollmächtigten gefertigte Berufungsbegründung beim Landgericht eingegangen. Am 3.9.2020 hat die Beklagte wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Prozessbevollmächtigte habe die Berufungsbegründung am 20.8.2020 gegen 23:00 Uhr fertiggestellt, diese aber wegen eines unvorhersehbaren Druckerfehlers nicht ausdrucken können. Die Prozessbevollmächtigte habe daraufhin ihren Bruder um Bereitstellung eines Ersatzdruckers gebeten. Nachdem dieser aus Bielefeld in der Kanzlei in Münster um 2:45 Uhr des Folgetages eingetroffen sei, habe sie die Berufungsbegründung ausdrucken und um kurz nach 3:30 Uhr per Telefax an das Berufungsgericht übermitteln können.
[2] Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
II.
[3] Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist zulässig, weil die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Das Rechtsmittel ist auch begründet. Die Verweigerung von Wiedereinsetzung mit der Folge der Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Beklagte in ihrem verfassungsrechtlich garantierten und aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz.
[4] 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Antrag auf Wiedereinsetzung könne keinen Erfolg haben, da nicht hinreichend dargetan sei, dass die Beklagte beziehungsweise ihre Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung kein (Mit-)Verschulden treffe (§ 85 Abs. 2, § 233 ZPO).
[5] Es sei zweifelhaft, ob der Vortrag hinsichtlich des fehlenden Verschuldens ihrer ursprünglichen Prozessbevollmächtigten ausreichend sei. Deren Versuch, rechtzeitig vor Fristablauf einen neuen Drucker zu beschaffen, sei von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Vielmehr hätte es nahegelegen, wenigstens zu versuchen – notfalls handschriftlich – unter Darlegung der aufgetretenen (unvorhergesehenen) Probleme einen erneuten Fristverlängerungsantrag an das Gericht zu faxen.
[6] Dies könne indes auf sich beruhen, da die Beklagte nicht dargelegt habe, dass ihre neuen Prozessbevollmächtigten ohne Verschulden außer Stande gewesen seien, die Berufung fristgerecht zu begründen. Es könne dahinstehen, ob diese angesichts des bevorstehenden Urlaubs des sachbearbeitenden Rechtsanwalts das Mandat gar nicht hätten annehmen dürfen; jedenfalls hätte der Prozessbevollmächtigte für eine Vertretung sorgen müssen, die die Berufungsbegründung fristgerecht hätte einreichen können. Dass dies nicht möglich gewesen sei, sei nicht dargelegt. Der Fristverlängerungsantrag vom 6.8.2020 sei auch nicht überraschend abgelehnt worden. Es sei nicht im Ansatz dargelegt, dass die neuen Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Berufungsbegründung nicht fristgerecht hätten einreichen können.
[7] Die Berufung sei wegen der Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung unzulässig und daher gemäß ...