VVG § 186, AUB § 1 Abs. 1
Leitsatz
Zwar erscheint es grundsätzlich denkbar, dass sich eine bedingungsgemäße Invaliditätsfeststellung auch aus der Zusammenschau mehrerer, einander ergänzender Atteste verschiedener Ärzte ergeben kann; eine solche Annahme scheidet aber aus, wenn sich die ärztlichen Bescheinigungen nicht ergänzen, sondern einander widersprechen.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 22.2.2022 – 5 U 37/21
Sachverhalt
Gegenstand der Klage sind Ansprüche des Kl. aus vier bei der Bekl. gehaltenen Unfallversicherungen wegen zweier behaupteter Unfallereignisse vom 10.4. und 25.12.2018.
Den Verträgen lagen – inhaltlich identische – AUB 2008 – zugrunde. Danach entsteht ein Anspruch auf Leistung aus der für den Invaliditätsfall versicherten Summe, wenn die Invalidität – definiert als eine durch den Unfall herbeigeführte dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit der versicherten Person – innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb einer Frist von 15 – bei einem der Verträge 21 – Monaten nach dem Unfall von einem Arzt dem Grunde nach und unter Angabe der Beeinträchtigung, auf der sie beruht, schriftlich festgestellt wurde. Außerdem muss der Anspruch auf Invaliditätsleistung innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall gegenüber dem VR schriftlich geltend gemacht werden.
Am 28.11.2018 suchte der Kl. den Chirurgen W., auf, der einen Zustand nach "AC-Gelenksprengung re. (Tossy II)" und eine "A.C.-Gelenkarthrose re." diagnostizierte. Als Befund wurde eine geringgradige Schwellung der rechten Schulter mit Druckschmerz und eine endgradige Bewegungseinschränkung der rechten Schulter in allen Ebenen erhoben. Der Kl. zeigte der Bekl. am selben Tag unter Vorlage dieses Attests einen Unfall vom 10.4.2018 an, als er beim Skifahren auf die rechte Schulter gefallen sei, und machte Ansprüche wegen Invalidität geltend.
Im Januar 2019 stellte sich der Kl. erneut bei W. vor, der bei F. eine Kernspintomographie des rechten Schultergelenks veranlasste. Dort wurden am 21.1.2019 u.a. eine Teilruptur der Supraspinatussehne und verschiedene degenerative Veränderungen im Schultergelenk festgestellt. Unter Vorlage dieses Berichts meldete der Kl. am 30.1.2019 der Bekl. ein weiteres Unfallereignis vom 25.12.2018, als er beim Wandern in Obergurgl auf die rechte Schulter gestürzt sei.
Die Bekl. gab bereits unter dem 17.1.2019 ein fachorthopädisches Gutachten bei T., in Auftrag. Der Gutachter gelangte zu der Annahme, es bestehe "aktuell" eine Minderung der Gebrauchsfähigkeit des rechten Arms gemäß der Gliedertaxe von 1/20 Armwert, deren Ursache er jedoch nicht in den von dem Kl. berichteten Unfällen sah.
Mit zwei Schreiben vom 16.7.2019, von denen sich eines auf das "Ereignis vom 10.4.2018" und das andere auf das "Ereignis vom 25.12.2018" bezog, teilte die Bekl. dem Kl. mit, dass sie an ihrer Entscheidung festhalte, und belehrte ihn sodann – in Fettdruck – folgendermaßen:
Zitat
Sollte der Unfall eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) hinterlassen, können Sie eine Invaliditätsleistung beantragen, wenn innerhalb eines Jahres nach dem Unfall Invalidität eingetreten und dies nach weiteren neun Monaten – dem Grunde, nicht der Höhe nach – von einem Arzt schriftlich festgestellt worden ist.
Es ist Ihre Aufgabe, sich fristgemäß um die ärztliche Feststellung zu bemühen.
Wird diese Frist versäumt, besteht kein Anspruch auf Invaliditätsleistung.
2 Aus den Gründen:
Dem Kl. stehen Ansprüche gegen die Bekl. aus den Unfallversicherungsverträgen wegen der behaupteten Unfallereignisse schon deshalb nicht zu, weil es an der fristgerechten ärztlichen Feststellung einer unfallbedingten Invalidität des Kl. als Anspruchsvoraussetzung fehlt und der Bekl. die Berufung hierauf auch nicht nach den Geboten von Treu und Glauben verwehrt ist.
1. Die vom Kl. vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen vom 28.11.2018, 4.1.2019 und 22.1.2019 stellen weder für sich genommen noch in der Zusammenschau mit dem von der Bekl. eingeholten Gutachten vom 13.2.2019 ausreichende Invaliditätsfeststellungen dar.
a. Die Fristenregelungen in § 1 Ziff. 1 VB-Unfall Invalidität 2008 bzw. 1999, an deren Wirksamkeit weder unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit noch unter demjenigen der Transparenz Zweifel bestehen (vgl. BGH VersR 2012, 1113 m.w.N. zur inhaltsgleichen Regelung in Nr. 2.1.1.1 AUB 2002), zielen darauf ab, dem VR eine Grundlage für die Überprüfung seiner Leistungspflicht zu bieten; außerdem sollen schwer aufklärbare Spätschäden ausgegrenzt werden. Das Versäumen der Fristen, deren Einhaltung nach den Bedingungen als Anspruchsvoraussetzung ausgestaltet ist, führt daher selbst dann zum Leistungsausschluss, wenn den VN daran kein Verschulden trifft (vgl. BGH VersR 2015, 617; …).
Nach dem dargestellten Zweck der Fristenregelung richtet sich auch der notwendige Inhalt der Invaliditätsfeststellung, an welchen keine hohen Anforderungen zu stellen sind (BGH VersR 2007, 1114). Die ärztliche Invaliditätsfeststellung muss die Schädigung und den ...