StVG § 3 Abs. 1 und 3 § 29 § 65 Abs. 3 Nr. 2; FeV § 11 Abs. 6 und 8 § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 und Buchst. b § 46 Abs. 1 und 3; VwGO § 144 Abs. 4
Leitsatz
Die Fahrerlaubnisbehörde darf den Betroffenen auch dann gemäß § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. b FeV wegen wiederholter Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auffordern, wenn eine als Ordnungswidrigkeit einzustufende Zuwiderhandlung ordnungswidrigkeitsrechtlich nicht geahndet worden ist. Es muss aber hinreichend sicher feststehen, dass der Betroffene die Zuwiderhandlung begangen hat, und sie muss in zeitlicher Hinsicht noch verwertbar sein. Falls eine Bußgeldentscheidung ergangen ist, darf die Berücksichtigung der Zuwiderhandlung nicht entgegen § 3 Abs. 4 S. 2 StVG von den dort getroffenen Feststellungen abweichen.
BVerwG, Urt. v. 7.4.2022 – 3 C 9.21
1 Aus den Gründen:
"… II.
[11] Die Revision des Kl. ist unbegründet. Zwar verletzt das angegriffene Berufungsurteil Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), doch stellt sich die Entscheidung selbst aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).
[12] Der Bekl. durfte gemäß § 11 Abs. 8 S. 1 FeV annehmen, dass dem Kl. die Fahreignung fehlt (1. und 2.). Die Begründung der Aufforderung an den Kl., ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, genügte den Anforderungen von § 11 Abs. 6 S. 2 FeV. Der Kl. konnte dem Aufforderungsschreiben entnehmen, aus welchen Vorfällen der Bekl. seine Eignungszweifel herleitete. Die Annahme des Berufungsgerichts, es sei dort nur auf die Vorfälle vom 1.9.2017 und vom 3.7.2009 abgestellt worden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (3.). Die Rechtswidrigkeit der Aufforderung folgt auch nicht daraus, dass der Bekl. § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. b FeV als Rechtsgrundlage angegeben hat; diese Angabe war zutreffend. Die Voraussetzungen der Regelung waren erfüllt; die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Fahrerlaubnisbehörde darf die Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch dann auf § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. b FeV stützen, wenn eine als Ordnungswidrigkeit einzustufende Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss ordnungswidrigkeitsrechtlich nicht geahndet worden ist, aber mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass der Betroffene sie begangen hat, und, falls eine Bußgeldentscheidung ergangen ist, die Berücksichtigung der Zuwiderhandlung nicht entgegen § 3 Abs. 4 S. 2 StVG von den dort getroffenen Feststellungen abweicht. Diese Voraussetzungen waren hier auch hinsichtlich der Trunkenheitsfahrt vom 1.9.2017 erfüllt. Dass das Berufungsgericht die Behauptung des Kl., er habe die festgestellte BAK erst durch einen Nachtrunk erreicht, nicht als glaubhaft angesehen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (4.). Die beiden für die Begründung der Eignungszweifel herangezogenen Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss waren zum maßgeblichen Zeitpunkt auch noch verwertbar (5.). Erweist sich die Beibringungsaufforderung damit als rechtmäßig, durfte der Bekl. wegen der Nichtbeibringung dieses Gutachtens von fehlender Fahreignung des Kl. ausgehen und ihm deshalb die Fahrerlaubnis entziehen (§ 3 Abs. 1 StVG sowie § 46 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 S. 1 FeV).
[13] 1. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, Urt. v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – BVerwGE 165, 215 Rn 11 m.w.N.); abzustellen ist hier danach auf den Erlass des Widerspruchsbescheids v. 9.1.2020.
[14] Im vorliegenden Fall schloss der Bekl., nachdem der Kl. das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht beibrachte, gemäß § 11 Abs. 8 S. 1 FeV auf dessen Nichteignung. Das Berufungsgericht ist der ständigen Rechtsprechung des Senats folgend (Urt. v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn 14 und 19 m.w.N.) davon ausgegangen, dass er hierzu nur berechtigt war, wenn die Aufforderung zur Beibringung des Fahreignungsgutachtens zum Zeitpunkt des Ergehens der Aufforderung formell und materiell rechtmäßig war; sie ist hier mit Schreiben des Bekl. v. 9.5.2019 erfolgt. Der Kl. und Revisionskläger wird durch diese Annahme nicht beschwert. Ob im Hinblick auf den zwischenzeitlich erreichten Stand der Rspr. zum Rechtsschutz gegen in Grundrechte eingreifende behördliche Vorbereitungshandlungen (zur Untersuchungsaufforderung im Dienstrecht vgl. BVerfG, Kammerbeschluss v. 14.1.2022 – 2 BvR 1528/21 – NVwZ 2022, 401; zur Beibringungsaufforderung im Fahrerlaubnisrecht vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn 25; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 44a Rn 13 und 52. Deutscher Verkehrsgerichtstag 2014, Empfehlungen der Arbeitskreise, AK V Ziffer 8, S. XIV) daran festzuhalten ist, dass die Aufforderung, ein Fahreignungsgutachten beizubringen, nicht selbstständi...