Ein Ausnehmen ist nur dann möglich, wenn nach § 69a Abs. 2 StGB "besondere Umstände" vorliegen, die "die Annahme rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird". Die Ausnahme von der Sperre kommt also nur dann in Betracht, wenn beim Führen der von der Sperre ausgenommenen Fahrzeugart im öffentlichen Straßenverkehr trotz des bestehenden Eignungsmangels keine Gefahr ausgeht. Es geht also letztlich einzig und allein darum, ob die Sicherheit des Straßenverkehrs trotz bestehender Ungeeignetheit des Fahrzeugführers durch irgendeine feststellbare Gefahrenabschirmung[51] durch die Teilnahme des Fahrzeugführers mit der im Rahmen der Sperrfristentscheidung ausgenommenen Fahrzeugart gefährdet ist oder nicht. Allzu oft ist das Ausnehmen ein "Gnadenakt", der durch Absprache zwischen Angeklagtem, Verteidiger, Staatsanwaltschaft und Gericht herbeigeführt wird, wenn der Führerscheinverlust zum Beispiel bei Landwirten zum wirtschaftlichen Ruin führen würde.[52] Wirtschaftliche und berufliche Erwägungen müssen aber im Rahmen des § 111a Abs. 1 S. 2 StPO bzw. § 69a Abs. 2 StGB unberücksichtigt bleiben.[53] Bevor die Verteidigung also als letzten Notnagel auf derartige "Gnadenerwägungen" zurückgreift, muss sie versuchen, genügend Tatsachenmaterial/Beweismaterial herbeizuschaffen, um eine Gefahrenabschirmung darlegen zu können.[54]

Teilweise ging die Rechtsprechung davon aus, dass der Täter bei Begehung der Straftat "in einer Ausnahmesituation" gehandelt haben müsse.[55] Dem kann aber nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Denn auch ohne Vorliegen einer Ausnahmesituation sind zahlreiche Fälle denkbar, in denen vom Führen der von der Sperre ausgenommenen Fahrzeugart keine auf dem Eignungsmangel beruhende Gefahr für andere ausgehen wird. Eine Versagung der beantragten Ausnahme in solchen Fällen würde daher gegen den verfassungsmäßigen Grundsatz des Übermaßverbotes verstoßen.

Nicht gefährdet ist der Zweck der Maßregel vor allem dann, wenn von der von der Sperre auszunehmenden Fahrzeugart unter Berücksichtigung der Umstände ihres Einsatzes im öffentlichen Straßenverkehr eine geringere Gefahr für andere zu erwarten ist.[56] Der Tatrichter, der eine Fahrzeugart ausnimmt, muss daher ausführlich darlegen, warum von der Benutzung der freigegebenen Fahrzeugart für die Allgemeinheit eine wesentlich geringere Gefahr zu erwarten ist.[57] Es ist also eine Auseinandersetzung mit der konkreten Abschirmung der Gefährdung des Maßregelzwecks unter Berücksichtigung der auszunehmenden Fahrzeugarten zu verlangen.[58] Falsch ist es so, bei Wiederholungstätern generell ein Ausnehmen auszuschließen.[59]

Eine systematisierte Prüfung, in der unterschieden wird zwischen objektiven und subjektiven (soll heißen: täterbezogenen) gefahrenabschirmenden Gesichtspunkten,[60] welche in einer Wechselwirkung im Sinne einer gegenseitigen Abhängigkeit zueinander stehen,[61] bietet sich an.

Richtigerweise ist dabei davon auszugehen, dass eine bloße Unterscheidung zwischen Berufs- und Privatsphäre nicht für die Annahme besonderer Umstände i.S.d. §§ 111a StPO, 69a Abs. 2 StGB ausreicht,[62] wenn nicht noch andere Sicherungsmaßnahmen platzgreifen, wie z.B. vor Fahrtantritt eine Kontrolle durch den Arbeitgeber oder Vorgesetzten oder durch eingebaute alkoholtestende Wegfahrsperren.[63] Unabhängig davon ist die Unterscheidung zwischen Privat- und Berufssphäre in jedem Fall ein starker Faktor im Rahmen der Beurteilung der Gefahrenabschirmung. Im Übrigen muss das Tatgericht möglichst viele gefahrenabschirmende Argumente finden, will es einzelne Fahrzeugarten ausnehmen – es muss nämlich darlegen, warum von der Benutzung der freigegebenen Fahrzeugart für die Allgemeinheit eine wesentlich geringere Gefahr zu erwarten ist.[64]

Die Gefahrenabschirmung ist ein Gesichtspunkt, den der Tatrichter zwar von Amts wegen aufklären muss, über den er aber – wird er nicht ausdrücklich von der Verteidigung angesprochen – keinerlei Kenntnisse hat. M.E. ist bei ausreichenden Anhaltspunkten und fehlender weiterer Aufklärbarkeit für eine Gefahrenabschirmung der Grundsatz "in dubio" ausschlaggebend. Die h.M. geht aber davon aus, dass die Beurteilung der Gefahrenabschirmung ebenso eine Prognoseentscheidung ist, wie die Beurteilung der Ungeeignetheit. Der Grundsatz "in dubio" gilt danach zwar uneingeschränkt, aber nur für die Prognosetatsachen, also die Tatsachen, die in die Prognoseentscheidung einzustellen sind. Die Prognose selbst soll dem Zweifelssatz nicht zugänglich sein. Für sie genügt aber eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit" der erfolgreichen ausreichenden Gefahrenabschirmung.

Im Rahmen des objektiven Elementes der Gefahrenabschirmung ("objektive Gefahrenabschirmung" oder "objektive Abschirmung der Gefährdung des Maßregelzwecks") dürften also insbesondere folgende Punkte eine erhebliche Bedeutung haben:

der Inhalt des Tatvorwurfs der Anlasstat,
das Gefährdungspotenzial, welches sich aus einer Nutzung – dem Zweck – der auszunehmenden Fahrzeugart für ähnliche Anlasstaten...

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