GG Art. 103 Abs. 1; VVG § 14 Abs. 2 S. 1 § 23; ZPO § 138 Abs. 2
Leitsatz
1. Hat ein VN zu dem zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gegebenen Standort und der Art eines einen Scheunenbrand verursachenden Räucherofens in einer Vernehmung vor dem Berufungsgericht anderes als bislang vorgetragen bekundet, so darf dieses seine Entscheidung nicht auf diese Aussage stützen, ohne dem VR dazu ausdrücklich rechtliches Gehör gewährt zu haben.
2. Beschränkt sich ein VN auf die pauschale Behauptung eines Schadensbetrages, genügt ein einfaches Bestreiten des VR.
3. lm Rahmen eines Abschlagsanspruchs kann der VN allein dasjenige verlangen, was ihm mit Sicherheit endgültig zusteht.
BGH, Beschl. v. 19.4.2023 – IV ZR 204/22
1 Sachverhalt
I. Der Kl. macht Ansprüche aus einer verbundenen Wohngebäudeversicherung geltend. Er ist Eigentümer eines unter anderem mit einer Scheune bebauten Grundstücks, für das er seit 2002 bei der Bekl. eine Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert unterhielt. Im Obergeschoss der Scheune errichtete der Kl. 2011 oder 2012 einen Räucherofen, bestehend aus mit Rigipsplatten verkleideten OSB-Platten und einer mit Blech verkleideten Holztür. Geräuchert wurde mit Holzspänen, die in einer Blechschale mit glühender Kohle zum Glimmen gebracht wurden.
Der Kl. nutzte den Räucherofen mehrmals im Jahr. Im Dezember 2017 geriet, nachdem der Kl. den Ofen in Betrieb genommen hatte, der Dachstuhl der Scheune in Brand. Eine von der Bekl. beauftragte Sachverständige schätzte die voraussichtliche Höhe des Sachschadens vorab auf 150.000 EUR und gelangte zu einem den Wert des Gebäudes nur zu 50,3 % abdeckenden Versicherungswert. Die Bekl. lehnte eine Regulierung unter Verweis auf die vorsätzliche Nichtanzeige der Gefahrerhöhung durch den eingebauten Räucherofen ab.
Der Kl. hat behauptet, der Betrieb des Räucherofens habe den Brand nicht verursacht. Zudem habe er vor Errichtung des Ofens im Obergeschoss der Scheune für mindestens 15 Jahre einen vergleichbaren Räucherofen im Erdkeller des Grundstücks betrieben.
2 Aus den Gründen:
[5] II. Die Beschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BG.
[6] 1. Dieses hat die Inbetriebnahme des Räucherofens nicht als gefahrerhöhend angesehen, so dass sie der Bekl. nicht habe angezeigt werden müssen. Nach persönlicher Anhörung des Kl. sei das Berufungsgericht davon überzeugt, dass in der Scheune bereits seit Erwerb des Grundstücks durch den Kl. in den 1990er Jahren ein Räucherofen vorhanden gewesen sei. Das BG glaube dem Kl. auch, dass sich dieser Ofen – wie der Kl. ebenfalls in seiner Anhörung auf Frage des Gerichts erklärt habe – an derselben Stelle befunden habe wie der bei dem Brand zerstörte Ofen. Soweit der Kl. erstinstanzlich schriftsätzlich vorgetragen habe, dass sich der zunächst betriebene Ofen im Erdkeller des Grundstücks befunden habe, sei der detaillierten und glaubhaften Aussage des Kl. vor dem BG der Vorzug vor seiner schriftsätzlichen Einlassung zu geben. Die Bekl. habe das Vorbringen des Kl. auch nicht bestritten, so dass es als zugestanden gelte.
[7] Danach habe der Kl. einen Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses auf die Versicherungsleistung. Das Bestreiten der Schadenshöhe durch die Bekl. sei unbeachtlich. Die von der Bekl. beauftragte Sachverständige habe die Schadenshöhe geschätzt. Angesichts dessen habe die Bekl. im Einzelnen vortragen müssen, weshalb diese Schadensermittlung unzutreffend sei. Der Anspruch des Kl. sei allerdings wegen der vorliegenden Unterversicherung der Höhe nach beschränkt. Der Feststellungsantrag sei nur insoweit begründet, als dem Kl. ein Anspruch auf Zeitwertentschädigung zustehe.
[8] 2. Das verletzt die Bekl. in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör.
[9] a) Die Ablehnung einer nachträglichen Gefahrerhöhung aufgrund der Angaben des Kl. in seiner persönlichen Anhörung ist eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung.
[10] aa) Das BG hat seine auf die Anhörung des Kl. gestützte Überzeugung, dass sich am Ort des beim Brand zerstörten Räucherofens bereits vor dessen Errichtung und bei Abschluss des Versicherungsvertrages ein vergleichbarer Ofen befunden hat, seiner Entscheidung nicht zugrunde legen dürfen, ohne der Bekl. zuvor einen entsprechenden rechtlichen Hinweis zu erteilen.
[11] Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Verfahrensbeteiligten, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zum zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern (…) Dieses Recht ist verletzt, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (…). In diesem Zusammenhang obliegt den Gerichten die Pflicht, von sich aus den Beteiligten alles für das Verfahren Wesentliche mitzuteilen. Eine Verletzung dieser Pflicht verstößt jedenfalls dann gegen Art. 103 Ab...