ZPO § 519 Abs. 2
Leitsatz
1. Zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO gehört die Mitteilung, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird. Dabei sind allerdings an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners weniger strenge Anforderungen zu stellen als an die Bezeichnung des Rechtsmittelführers (Fortführung BGH, Beschl. v. 19.3.2019 – VI ZB 50/17). (Rn.8)
2. Jedenfalls in den Fallgestaltungen, in denen der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen besteht, richtet sich das Rechtsmittel im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen. Etwas anderes gilt, wenn die Rechtsmittelschrift eine Beschränkung der Anfechtung erkennen lässt. (Rn.10)
BGH, Beschl. v. 7.3.2023 – VI ZB 74/22
1 Sachverhalt
[1] I. Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Die Beklagte zu 1 ist Halterin und Fahrerin des bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw. Das Amtsgericht (Weißwasser) hat die Klage abgewiesen. Das Urteil wurde dem Kläger am 12.7.2021 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 6.8.2021, der am Tag selben beim Landgericht eingegangen ist, hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift, der eine Abschrift des erstinstanzlichen Urteils beigefügt war, lautet wie folgt:
"In Sachen
R […] K […],
[Adresse]
– Kläger/Berufungskläger –
Prozessbev.: […]
gegen
N […] P […]
[Adresse]
– Beklagte/Berufungsbeklagte –
Prozessbev.: […]
legen wir namens des Klägers und Berufungsklägers gegen das am 5.7.2021 verkündete und am 12.7.2021 zugestellte Urteil des Amtsgerichts […], Az. […]
Berufung
ein.
Anträge und Begründung bleiben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten.
Eine beglaubigte Fotokopie des angefochtenen Urteils ist beigefügt."
[2] Mit am 2.9.2021 eingegangenem Schriftsatz vom 1.9.2021 hat der Kläger die Berufung "in Sachen K […], R […] ./. P […], N […] u.a." begründet und die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils gegen beide Beklagten beantragt. Das Berufungsgericht (LG Görlitz – 2 S 117/21) hat nach einem Hinweis, dass es die Zulässigkeit der Berufung für problematisch erachte, die Berufung gegen beide Beklagten mit Beschl. v. 26.9.2022 als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
2 Aus den Gründen:
[3] II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
[4] 1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Berufung gegen die Beklagte zu 2 sei unzulässig, da verfristet. In Anwendung der im Senatsbeschluss vom 15.3.2022 (VI ZB 20/20, NJW-RR 2022, 784) entwickelten Rechtsgrundsätze sei der Berufungsschriftsatz vom 6.8.2021 ausschließlich als Berufung gegen die Beklagte zu 1 anzusehen. Die Bezeichnung der Rechtsmittelbeklagten in diesem Schriftsatz sei eindeutig. Der Schriftsatz enthalte keine auslegungsfähigen Rechtsmittelanträge oder eine auslegungsfähige Berufungsbegründung. Soweit der Kläger darauf abstelle, dass eine ungenaue Bezeichnung der Rechtsmittelführer nicht mit einer ungenauen Bezeichnung der Rechtsmittelgegner gleichzusetzen sei, sei dies in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Aus dem Senatsurt. v. 30.4.1991 (VI ZR 82/90 – NJW 1991, 2775) ergebe sich, dass im Fall einer Mehrzahl potentieller Rechtsmittelgegner die Berufungsschrift eine unzweifelhafte Bezeichnung des konkreten Rechtsmittelgegners beinhalten müsse. Das sei vorliegend in Bezug auf die Beklagte zu 2 nicht der Fall. Der Schriftsatz vom 1.9.2021 sei nicht nur als Begründung der gegen die Beklagte zu 1 eingelegten Berufung, sondern auch als Berufung gegen die Beklagte zu 2 anzusehen. Da diese verfristet sei, sei auch die Berufung gegen die Beklagte zu 1 unzulässig. Denn nach 124 Abs. 1 VVG erstrecke sich die Rechtskraft eines Urteils zwischen dem Geschädigten und dem Haftpflichtversicherer auch auf das Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Versicherungsnehmer, hier der Beklagten zu 1.
[5] 2. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
[6] Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Denn die angefochtene Entscheidung verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfG NJW 1991, 3140; Senatsbeschl. v. 19.3.2019 – VI ZB 50/17, NJW-RR 2019, 640 Rn 7 m.w.N.). Das ist vorliegend erfolgt.
[7] a) Das Berufungsgericht hat die in § 519 Abs. 2 ZPO enthaltenen Anforderungen an eine Berufungsschrift überspannt.
[8] aa) Zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO gehört die Mitteilung, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird. Dabei sind all...