BGB § 254 Abs. 2 § 843 Abs. 1; ZPO § 287
Leitsatz
1. Der Geschädigte ist im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht gehalten, den Ausfall seiner Arbeitskraft in der Haushaltsführung durch Umorganisation oder den Einsatz technischer Hilfsmittel zu kompensieren. Dabei darf die Umorganisation nicht dazu führen, dass ein anderes Haushaltsmitglied als Folge des Unfalls in stärkerem Umfang als bisher im Haushalt mitarbeiten muss; vielmehr beschränkt sich die Obliegenheit zur Umverteilung darauf, die Arbeitsleistungen in dem vor dem Unfall praktizierten Umfang neu zu verteilen.
2. Bei besonders geringfügiger haushaltsspezifischer MdE kann die Verpflichtung zur Zurückstellung und Umorganisation zur Versagung des Haushaltsführungsschadens führen. Eine dauerhaft verbleibende haushaltsspezifische MdE von 15 % liegt allerdings oberhalb der Grenze, bei der die Möglichkeit der vollständigen Schadenskompensation vermutet werden kann.
3. Im Rahmen des § 287 ZPO ist ein Stundenlohn von 10,– EUR netto nicht zu beanstanden.
4. Die Zeitdauer der Haushaltsführungsschadensrente ist auf die Vollendung des 75. Lebensjahrs der Klägerin zu begrenzen. (Leitsätze der Redaktion)
OLG Saarbrücken Urt. v. 20.4.2023 – 3 U 7/23
1 Sachverhalt
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 1.12.2016 auf der BAB 620 in Höhe V. ereignet hat. Die alleinige Einstandspflicht der Beklagten steht nicht im Streit und wurde von dieser mit Schreiben vom 4.1.2019 mit der Wirkung eines rechtskräftigen Feststellungsurteils anerkannt.
Die Klägerin erlitt bei dem Unfall eine instabile Fraktur des Lendenwirbelkörpers (LWK) 1 und befand sich in der Zeit vom 1.12. bis 14.12.2016 in stationärer Krankenhausbehandlung, im Rahmen derer die Fraktur am 7.12.2016 mit kombinierter Corporektomie des LWK 1 und Spondylodese BWK 12 – LWK 2 unter Implantation eines X-Core-Cage operativ versorgt wurde. Die Klägerin musste bis Anfang März 2017 ein Stützkorsett tragen und war bis zum 27.3.2017 arbeitsunfähig krankgeschrieben. In der Zeit vom 28.3. bis 16.4.2017 befand sie sich in einer stationären Reha-Maßnahme. Am 23.4.2017 nahm sie ihre Arbeit als kaufmännische Angestellte wieder auf. Vorgerichtlich zahlte die Beklagte an die Klägerin u.a. ein Schmerzensgeld von 10.000,– EUR sowie einen Betrag von 2.813,97 für Haushaltsführungsschäden.
Erstinstanzlich hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung eines angemessenen Teilschmerzensgeldes in Höhe von mindestens weiteren 12.500,– EUR, Ersatz weiteren Haushaltsführungsschadens für die Zeit vom 1.12.2016 bis 31.12.2020 von 15.635,17 EUR, eine monatliche Haushaltsführungsschadensrente von 308,57 EUR ab dem 1.1.2021 sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 2.806,50 EUR in Anspruch genommen …
Das Landgericht, auf dessen tatsächlichen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zum Ersatz weiteren Haushaltsführungsschadens von 1.596,03 EUR nebst Zinsen sowie vorgerichtlicher Anwaltskosten von 1.242,84 EUR verurteilt. Zur Begründung hat es – soweit in der Berufung noch von Interesse – ausgeführt, der Klägerin stehe kein weiteres Schmerzensgeld zu. Für die Zeit ab dem 5.6.2017 könne sie auch keinen Ersatz des Haushaltsführungsschadens verlangen, da sie in der Lage sei, die ab diesem Zeitpunkt noch fortbestehende haushaltsspezifische MdE von 15 % durch Umorganisation oder den Einsatz technischer Hilfsmittel vollständig zu kompensieren.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin …
2 Aus den Gründen:
II. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. In der Sache hat sie teilweise Erfolg.
1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB, §§ 7 Abs. 1, 11 Satz 2 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StVG ein weiteres Schmerzensgeld von 5.000,– EUR zu …
2. Der Klägerin steht ferner für die Zeit ab dem 5.6.2017 befristet bis zum 30.9.2037 ein Anspruch auf Ersatz des Haushaltsführungsschadens in Höhe von monatlich 135,– EUR bzw. vierteljährlich 405,– EUR zu.
a) In dem Verlust der Fähigkeit, weiterhin Haushaltsarbeiten zu verrichten, liegt ein ersatzfähiger Schaden. Er stellt sich je nachdem, ob die Hausarbeit als Beitrag zum Familienunterhalt oder den eigenen Bedürfnissen des Verletzten diente, entweder als Erwerbsschaden i.S.d. § 843 Abs. 1 Alt. 1 BGB oder als Vermehrung der Bedürfnisse i.S.d. § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB dar, und ist in dem einen wie dem anderen Fall messbar an der Entlohnung, die für die verletzungsbedingt in eigener Person nicht mehr ausführbaren Hausarbeiten an eine Hilfskraft gezahlt wird (dann Erstattung des Bruttolohns) oder gezahlt werden müsste (dann Orientierung am Nettolohn). Zu diesem Zwecke ist festzustellen, welche Hausarbeiten der Verletzte vor dem Schadensfall zu verrichten pflegte, wieweit ihm diese Arbeiten nun nicht mehr möglich (oder zumutbar) sind und für wieviel Stunden folglich eine Hilfskraft benötigt wird oder – b...