ZPO § 422 § 423 § 429 S. 1 Halbs. 1 § 432 Abs. 1 u. 3; StPO § 474 Abs. 1 § 479 Abs. 4 S. 2 u. 3; GG Art. 1 Abs. 1 Art. 2 Abs. 1
Leitsatz
1. Gemäß § 432 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 474 Abs. 1, § 479 Abs. 4 Sätze 2 und 3 StPO steht einer Partei grundsätzlich die Möglichkeit zur Verfügung, in einem anhängigen Zivilprozess (Teile von) Ermittlungs- beziehungsweise Strafakten beiziehen zu lassen. (Rn.15)
2. Nach § 474 Abs. 1 StPO ist den Gerichten grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren. (Rn.15)
3. Grundrechten der anderen Partei oder Dritter, insbesondere deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, kann dadurch Rechnung getragen werden, dass das Gericht nach Erhalt der angeforderten Akte unter Berücksichtigung von deren schutzwürdigen Interessen abwägt und so prüft, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Informationen aus ihr im Zivilverfahren verwertet werden können; der Zugang zu den Informationen aus der beigezogenen Akte ist gegebenenfalls angemessen zu beschränken. (Rn.15)
4. Maßgeblich für die Vorlagepflicht Dritter gemäß § 429 Satz 1 Halbs. 1, § 432 Abs. 3 ZPO ist, ob die beweisführungsbelastete Partei im Verhältnis zu ihnen einen Vorlegungsanspruch hat. Ob die Gegenpartei in Ermangelung der Voraussetzungen der §§ 422 f. ZPO nicht zur Vorlage einer Urkunde verpflichtet ist, ist demgegenüber in Bezug auf Dritte nicht von Bedeutung. (Rn.16)
BGH, Urt. v. 16.3.2023 – III ZR 104/21
1 Sachverhalt
[1] Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung von insgesamt 46.500 EUR und die Feststellung, dass die Forderung auf vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO beruht. Der Kläger behauptet, die Beklagte habe an Geldautomaten von seinem Postbankkonto mit seiner Bankkarte und seiner PIN Beträge in der genannten Gesamthöhe unberechtigt abgehoben und behalten.
[2] Die Parteien waren miteinander liiert. Im Oktober 2014 flog der Kläger für eine Motorradtour nach Indien. Dort erlitt er einen Verkehrsunfall, bei dem er sich eine schwere Beinverletzung zuzog. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland befand er sich deswegen vom 5. bis zum 25.11.2014 in einem Krankenhaus. Anschließend wohnte er – in seiner Bewegungsfähigkeit noch immer eingeschränkt – bei der Beklagten. Vom 20. April bis zum 18.5.2015 hielt er sich in einer Unfallklinik auf. Danach wohnte er nicht mehr bei der Beklagten.
[3] Während seines ersten Krankenhausaufenthaltes bat der Kläger die Beklagte, für ihn von seinem Konto bei der Postbank an einem Geldautomaten Bargeld zu holen. Er händigte ihr seine Bankkarte aus und teilte ihr die PIN mit. Die Beklagte hob daraufhin am 13. und am 14.11.2014 insgesamt 1.500 EUR in drei Teilbeträgen von jeweils 500 EUR ab, welche sie dem Kläger übergab.
[4] In der Zeit vom 15.11.2014 bis 19.4.2015 erfolgten 49 weitere Auszahlungen vom Konto des Klägers an Geldautomaten in Höhe von jeweils 500 EUR oder 1.000 EUR mit einem Gesamtbetrag von 43.500 EUR.
[5] Der Kläger trägt vor, die Beklagte habe diese Abhebungen vorgenommen. Sie habe jeweils ohne sein Wissen die Bankkarte für sein Postbankkonto an sich genommen, ihm das Geld nicht ausgehändigt und es auch nicht für seine Zwecke verwendet.
[6] Am 28., 29. und 30.5.2015 hob die Beklagte über einen Geldautomaten jeweils 1.000 EUR vom Postbankkonto des Klägers ab. Insoweit ist – nachdem die Beklagte auf Bildern der Überwachungskamera der Bank zu erkennen war – lediglich streitig, ob die Barabhebung jeweils auf entsprechende Bitte des Klägers geschah und ob die Beklagte ihm das abgehobene Bargeld aushändigte.
[7] Vom Kläger angestrengte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen die Beklagte wegen des Verdachts von Vermögensstraftaten im Zusammenhang mit Barabhebungen vom Postbankkonto des Klägers wurden sämtlich nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
[8] Das Landgericht Regensburg hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht (OLG Nürnberg – 15 U 2897/19) hat dem Kläger 12.000 EUR nebst Zinsen unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zugesprochen und im Übrigen die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klage in vollem Umfang weiter.
2 Aus den Gründen:
[9] Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit darin zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
[10] I. Das Berufungsgericht hat – soweit in der Revisionsinstanz von Relevanz – zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Von den drei Abhebungen in der Zeit vom 28. bis zum 30.5.2015 und von neun weiteren im Zeitraum vom 15.11.2014 bis 19.4.2015 durch die Beklagte abgesehen vermöge es sich bei Würdigung des Prozessstoffs und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht die nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderliche Überzeugung für die Berechtigung des Anspruchs des Klägers zu bilden. Eine von diesem zur Beweisführung beantragte Anforderung des "Sonderbandes Ban...