OWiG § 51; ZPO § 180 S. 3
Leitsatz
1. Zwar erbringt die bei der Akte befindliche Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis für die darin von der Zustellerin bezeugte Tatsache, dass der Bußgeldbescheid in den zur Wohnung der Betroffenen gehörenden Briefkasten eingelegt wurde. Dies allein belegt aber noch keine Verlängerung und Unterbrechung der Verjährungsfrist. Sowohl für die Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate gemäß § 26 Abs. 3 2. Hs. StVG als auch für die Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG ist aber erforderlich, dass die Zustellung im Einzelfall auch wirksam war, mithin unter Beachtung der für die gewählte Art der (Ersatz-)Zustellung maßgeblichen zwingenden Zustellungsvorschriften erfolgte.
2. Die Voraussetzungen einer wirksamen Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten ergeben sich aus § 180 ZPO. Gemäß § 180 S. 3 ZPO hat der Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung zu vermerken. Bei der Verpflichtung nach § 180 S. 3 ZPO handelt es sich nach der Rechtsprechung des BGH um eine zwingende Zustellungsvorschrift i.S.d. § 189 ZPO mit der Folge, dass das eingelegte Schriftstück bei einer Missachtung dieser Vorschrift erst mit dem tatsächlichen Zugang als zugestellt gilt (BGH, Urt. v. 15.3.2023 – VIII ZR 99/22).
3. Im Anwendungsbereich der für das Bußgeldverfahren maßgeblichen Regelungen von § 51 Abs. 1 S. 1 OWiG i.V.m. § 1 SVwZG, § 3 Abs. 2 S. 1 und § 8 VwZG kann der Vorgabe des § 180 S. 3 ZPO keine abweichende Bedeutung beigemessen werden. (Leitsätze der Redaktion)
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 3.6.2024 – 1 Ss (OWi) 44/24
1 Sachverhalt
Gegen die Betroffene erging ein Bußgeldbescheid (Geschwindigkeitsverstoß, Geldbuße 320 EUR, 1 Monat Fahrverbot) vom 5.6.2023, der laut Postzustellungsurkunde durch eine Zustellerin am 9.6.2023 in den Briefkasten der Betroffenen eingelegt wurde. Nach Einspruch vom 12.6.2023 hat das AG am 12.3.2024 die Betroffene in gleicher Weise verurteilt. Am 15.3.2024 hat der Verteidiger Rechtsbeschwerde eingelegt am 15.4.2024 mit der Rüge der Verletzung sowohl formellen als auch sachlichen Rechts begründet. Er beanstandet die unzureichende Gewährung von Akteneinsicht und rügt, dass Verjährung bereits eingetreten gewesen sei. Das OLG Saarbrücken hat auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen das Urteil des AG aufgehoben und hat das Verfahren eingestellt. Es hat die Kosten des Verfahrens und die der Betroffenen darin entstandenen Auslagen der Staatskasse auferlegt.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 341 Abs. 1, § 345 Abs. 1 und 2, § 43 Abs. 2 StPO) Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Auf die Rechtsbeschwerde waren das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren gemäß § 206a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG einzustellen, weil der Verfolgung der der Betroffenen zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 OWiG das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung entgegensteht.
1. Die Frage, ob Verfolgungsverjährung eingetreten ist, ist als Verfahrenshindernis vom Senat auf die mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts zulässig erhobene Rechtsbeschwerde vorrangig von Amts wegen eigenständig im Freibeweisverfahren zu überprüfen (vgl. Göhler/Bauer, OWiG, § 31 Rn 17; BayObLG, Beschl. v. 17.11.2020 – 201 ObOWi 1385/20).
2. Zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils am 12.3.2024 war die maßgebliche Verjährungsfrist auch unter Berücksichtigung etwaiger Unterbrechungen gemäß § 33 Abs. 1, 2 und 3 S. 1 OWiG bereits abgelaufen.
a) Für die der Betroffenen zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit i.S.d. § 24 Abs. 1 StVG beträgt die Frist der Verfolgungsverjährung gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 StVG drei Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen ist noch öffentliche Klage erhoben worden ist, danach sechs Monate. Die dreimonatige Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 S. 1 StVG begann gemäß § 31 Abs. 3 S. 1 OWiG am 9.2.2023, dem Tag, an dem die Betroffene die ihr zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung begangen haben soll, und lief damit zunächst bis zum Ablauf des 8.5.2023. Innerhalb dieses Zeitraums wurde die Verjährungsfrist gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG durch die am 15.3.2023 angeordnete Anhörung der Betroffenen unterbrochen und begann infolge dessen gemäß § 33 Abs. 3 S. 1 OWIG neu zu laufen bis zum 14.6.2023.
b) Eine erneute rechtswirksame Unterbrechung der Verjährungsfrist ist nicht erfolgt. Insbesondere der Erlass des Bußgeldbescheids am 5.6.2023 und dessen Einlegung durch eine Zustellerin der Deutschen Post AG in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten der Betroffenen am 9.6.2023 bewirkten weder eine Unterbrechung der Verfolgungsverjährung gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG noch eine Verlängerung der Verjährungsfrist gemäß § 26 Abs. 3 2. Hs. StVG auf sechs Monate, innerhalb derer durch den Eingang der Akten beim Amtsgericht gemäß § 33 Abs. 1...