SGB VII § 108
Leitsatz
Zum Umfang der Bindungswirkung und zur Pflicht des Zivilgerichts zur Aussetzung seines Verfahrens.
BGH, Urt. v. 22.4.2008 – VI ZR 202/07
Sachverhalt
Der Kläger begehrt Ersatz immateriellen Schadens wegen einer am 18.4.2006 erlittenen Nasenbeinfraktur. Der bei einer Spedition beschäftigte Kläger hielt sich auf dem Betriebsgelände der Beklagten auf. Er hatte den von ihm gefahrenen Lkw zum Beladen vor der Lagerhalle abgestellt. Als er mit einem Hubwagen Paletten auflud, stieß er im Bereich des mit einem Plastiklammelenvorhang verhängten Zugangs zur Lagerhalle mit einem von dem Mitarbeiter S der Beklagten gesteuerten Gabelstapler zusammen.
Der Kläger hat behauptet, er sei von S aufgefordert worden, mit dem Beladen zu beginnen, weil dieser zunächst noch andere Fahrzeuge habe beladen müssen. Nachdem er zwei Paletten aus der Halle herausgefahren und auf den Lkw geladen habe, habe er wieder in die Halle gehen wollen. Dabei sei er von dem Gabelstapler angefahren worden. Auf Grund der erlittenen Verletzung sei er acht Tage lang arbeitsunfähig gewesen.
Die Beklagte hat vorgetragen, S sei mit einem Warnton rückwärts von innen an das Tor herangefahren, wobei der Kläger wohl von dem Vorhang getroffen worden sein müsse. Der Kläger habe den Unfall selbst verschuldet, denn die Halle dürfe, wie ein dort befindliches Schild deutlich mache, durch das betreffende Tor zu Fuß nicht betreten werden.
Das AG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine Haftung der Beklagten sei gem. §§ 104, 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII ausgeschlossen, weil sich der Unfall auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet habe. Das LG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen, mit der der Kläger sein Klagebegehren weiterverfolgt.
Aus den Gründen
[5] “I. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob sich der Unfall auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet hat. Es meint, eine Haftung der Beklagten sei jedenfalls nach § 104 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII ausgeschlossen, denn der Kläger sei wie ein Beschäftigter der Beklagten tätig geworden, weil die Ladetätigkeit allein deren Aufgabe gewesen sei. Ob dem Kläger dadurch möglicherweise Unfallversicherungsschutz bei zwei Berufsgenossenschaften gewährt werde, sei unerheblich, weil er vorliegend lediglich einen Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens geltend mache, den er gegenüber der Berufsgenossenschaft seines Stammbetriebs nicht erheben könne.
[6] II. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
[7] 1. Die Revision ist unbeschränkt zugelassen, auch wenn das Berufungsgericht die Zulassung mit der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage begründet hat (vgl. Senatsurt. v. 19.10.2004, NJW 2005, 594, 596 m.w.N.; BGH, Urt. v. 20.4.2004, NJW 2004, 2745, 2746; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 28. Aufl., § 543 Rn 10).
[8] 2. Das Berufungsgericht hat die Tatbestandsvoraussetzungen des § 104 SGB VII unter Verstoß gegen die Bestimmung des § 108 SGB VII für gegeben erachtet.
[9] a) Nach dieser Vorschrift sind Gerichte außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit bei Entscheidungen über die in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Ansprüche hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist, an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte gebunden. Die Bindungswirkung erstreckt sich auch auf die Entscheidung darüber, ob ein Verletzter einen Unfall als Versicherter auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 S. 1 SGB VII erlitten hat (Senatsurt. BGHZ 166, 42, 44). Diese Bindung hat das Zivilgericht von Amts wegen zu berücksichtigen (Senatsurt. v. 12.6.2007, VersR 2007, 1131, 1132; Wussow/Schneider, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl., Kap. 79 Rn 5). Sie setzt der eigenen Sachprüfung – auch des Revisionsgerichts – Grenzen (Senatsurt. BGHZ 158, 394, 397; v. 19.10.1993, VersR 1993, 1540, 1541; v. 12.6.2007, a.a.O. und v. 20.11.2007, VersR 2008, 255, 256). Das Zivilgericht ist an die Entscheidung des Unfallversicherungsträgers bzw. des Sozialgerichts gebunden, und zwar unabhängig davon, ob es die von dem Sozialversicherungsträger getroffene Entscheidung inhaltlich für richtig hält (vgl. BAG, NZA 2007, 262, 265; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 5. Aufl., § 108 SGB VII Rn 6; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Rolfs, 8. Aufl., § 108 SGB VII Rn 1). Da das Zivilgericht die Bindung von Amts wegen zu berücksichtigen hat, sind Feststellungen dazu, in welchem Umfang die Bindungswirkung eingetreten ist, zwingend erforderlich (vgl. Senatsurt. BGHZ 158, 394, 396 f.).
[10] Der Eintritt der Bindungswirkung nach § 108 Abs. 1 SGB VII setzt voraus, dass die Entscheidung für die Betroffenen unanfechtbar ist. Dies ist der Fall, wenn der Bescheid gem. § 77 SGG bestandskräftig geworden oder das Sozialgerichtsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist (Senatsurt. v. 20.11.2007, a.a.O.). Den vom Berufungsgerich...