BRAGO § 3 Abs. 3; GG Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 12 Abs. 1
Leitsatz
Die Rechtsprechung, nach der eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass eine von einem Rechtsanwalt bei Strafverteidigungen vereinbarte Vergütung, die mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt, unangemessen hoch und damit zu kürzen ist, verstößt gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit und ist deshalb verfassungswidrig.
(Leitsatz des Bearbeiters)
BVerfG, Beschl. v. 15.6.2009 – 1 BvR 1342/07
Sachverhalt
Rechtsanwalt Prof. Dr. M, ein Fachanwalt für Strafrecht, übernahm im Jahr 2002 die Strafverteidigung eines in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten, dem ein Verstoß gegen das BtmG zur Last gelegt wurde. Mit dem Bruder des Beschuldigten schloss der Rechtsanwalt eine Honorarvereinbarung über ein Stundensatzhonorar in Höhe von 320 EUR. In der Folgezeit suchte der Rechtsanwalt den Beschuldigten in der Haftanstalt mehrmals auf und nahm an der über mehrere Verhandlungstage andauernden Hauptverhandlung teil. Der Beschuldigte wurde zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Für 63 Arbeitsstunden zzgl. Auslagen und Umsatzsteuer berechnete der Rechtsanwalt ein Honorar in Höhe von 23.911,05 EUR. Hierauf zahlte der Bruder des Beschuldigten lediglich 6.874,84 EUR. Auf die vor dem LG Leipzig erhobene Klage gegen den Bruder des Beschuldigten verurteilte das LG den Beklagten entsprechend seinem Anerkenntnis zur Zahlung von 8.959,16 EUR und durch streitiges Endurteil zur Zahlung weiterer 2.554,88 EUR. Die weitergehende Klage wies das LG mit der Begründung ab, das vereinbarte Honorar sei unangemessen hoch und deswegen auf den angemessenen Betrag, das Fünffache der gesetzlichen Höchstgebühren, herabzusetzen. Die von dem Rechtsanwalt eingelegte Berufung wies das OLG Dresden zurück. Die Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwalts führte zur Aufhebung der Urteile des OLG Dresden und des LG Leipzig, soweit die Klage abgewiesen wurde.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: „ … 1. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. …
[10] Das LG hat bereits gänzlich unbeachtet gelassen, dass sich der Beschwerdeführer bei Abschluss einer Vergütungsvereinbarung im Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG bewegt. Das OLG hat dies zwar erkannt, allerdings führt das Berufungsurteil zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers.
[11] a) Die Garantie der freien Berufsausübung schließt die Freiheit ein, das Entgelt für berufliche Leistungen frei mit den Interessenten auszuhandeln (vgl. BVerfGE 106, 275 <298>; 114, 196 <244>; 117, 163 <181>). Zwar wird die Vertragsfreiheit auch durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet (vgl. BVerfGE 65, 196 <210>; 74, 129 <151 f.>). Betrifft eine gesetzliche Regelung jedoch die Vertragsfreiheit gerade im Bereich der beruflichen Betätigung, die ihre spezielle Gewährleistung in Art. 12 Abs. 1 GG gefunden hat, so scheidet die gegenüber anderen Freiheitsrechten subsidiäre allgemeine Handlungsfreiheit als Prüfungsmaßstab aus (vgl. BVerfGE 117, 163 <181>).
[12] b) Die angegriffenen Entscheidungen berühren den Schutzbereich der Berufsfreiheit. Regelungen und diese umsetzende Entscheidungen, die die Vergütung für die berufliche Tätigkeit festlegen, weisen unmittelbaren Berufsbezug auf (vgl.BVerfGE 83, 1 <13>; 101, 331 <347>). Das BVerfG hat darüber hinaus bereits entschieden, dass die gerichtliche Aberkennung eines vertraglichen Gebührenanspruchs wegen vermeintlicher Unbestimmtheit der Vergütungsvereinbarung einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit darstellt (vgl. BVerfG, Beschl. der 2. Kammer des Ersten Senats v. 12.8.2002 – 1 BvR 328/02 –, NJW 2002, S. 3314). Nichts anderes gilt, wenn – wie hier – der Honoraranspruch auf der Grundlage des § 3 Abs. 3 BRAGO – heute findet sich eine inhaltsgleiche Regelung in § 3a Abs. 2 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz <RVG>) – durch richterlichen Gestaltungsakt reduziert wird.
[13] c) Das OLG hat bei Auslegung und Anwendung von § 3 Abs. 3 BRAGO zwischen der Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers (aa) und den potenziell betroffenen gegenläufigen Belangen (bb) den von Verfassungs wegen gebotenen verhältnismäßigen Ausgleich verfehlt (cc).
[14] aa) Die durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnete anwaltliche Berufsausübung unterliegt unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Rechtsanwalts (vgl. BVerfGE 110, 226 <251 f.>). Dem entspricht, dass auch Rechtsanwälte das Entgelt für ihre beruflichen Leistungen frei aushandeln können (vgl. BVerfGE 117, 163 <181>). Dabei lässt auch beim Abschluss von Vergütungsvereinbarungen der zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien regelmäßig auf einen durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenausgleich schließen, den der Staat grundsätzlich zu respektieren hat (vgl. BVerfGE 81, 2...