VVG §§ 61, 63 (= VVG §§ 42c, 42e VVG a.F.)
1. Ein Versicherungsvermittler muss von der Kündigung eines bestehenden Krankheitskostenversicherungsvertrages abraten, solange nicht gewährleistet ist, dass der angestrebte Versicherungsvertrag bei dem neuen Versicherer zu den gewünschten Konditionen zu Stande kommt.
2. Grundsätzlich kann im Falle der fehlerhaften Beratung der Beratungspflichtige dem Geschädigten nicht entgegenhalten, er habe die Risiken auch ohne entsprechenden Hinweis selbst erkennen können.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Hamm, Urt. v. 10.6.2010 – 18 U 154/09
Aus den Gründen:
… 1. “Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Leistung von Schadensersatz wegen einer fehlerhaften Beratung im Rahmen des zwischen den Parteien geschlossenen Maklervertrages vom 22.12.2006. …
Danach ist davon auszugehen, dass die Beklagte dem Kläger auf Schadensersatz aus §§ 42e, 42c Abs. 1 VVG in der vom 22.5.2007 bis 31.12.2007 geltenden Fassung auf Grund einer fehlerhaften Beratung im Zusammenhang mit der Kündigung der bisherigen Krankenversicherung für T, den Sohn des Klägers, am 31.7.2007 haftet. Denn die Pflichten des Versicherungsmaklers gehen weit (vgl. im Einzelnen BGH VersR 2009, 1495; NJW-RR 2007, 1503). Als treuhänderischer Sachwalter schuldet er dem Versicherungsinteressenten Beratung und Betreuung in Bezug auf den zu vermittelnden Vertrag (OLG Frankfurt r+s 2009, 218). Er muss auf Risiken besonders hinweisen, wobei sich diese Pflichten auch auf die Abwicklung etwaiger Vorverträge erstrecken.
Hier hätte der Mitarbeiter der Beklagten, der Zeuge D P, in dem am 25.7. oder 31.7.2007 geführten Gespräch mit der Ehefrau des Klägers ausdrücklich davon abraten müssen, die bestehende Versicherung bei der U zu kündigen, bevor gewährleistet war, dass der angestrebte Versicherungsvertrag mit dem neu gewählten Versicherer, der H, zu den gewünschten Konditionen zu Stande kommt.
Der Zeuge D P wusste als Versicherungsmakler, dass das Zustandekommen dieses neuen Vertrages jedenfalls so lange nicht gesichert war, bis gegenüber der H sämtliche Gesundheitsfragen detailliert beantwortet wurden und sie das von ihr geforderte Gesundheitsheft eingesehen hat. Er wusste auch, dass die knappe Beantwortung der von ihm behaupteten allgemein gehaltenen Fragen nach der Gesundheit und etwaigen Vorerkrankungen des T noch keine ausreichende Beurteilungsgrundlage darstellte, um mit Gewissheit vom Zustandekommen des Vertrages auszugehen. Dass ihm dies bekannt war, zeigt sich in dem von ihm behaupteten Drängen auf Vorlage des Untersuchungsheftes.
Vor diesem Hintergrund war er gehalten, dem Kläger nicht nur die Risiken einer Kündigung aufzuzeigen, sondern ausdrücklich davon abzuraten.
Durch die Kündigung und das Nichtzustandekommen des Folgevertrages ist dem Kläger insoweit ein Schaden entstanden, als er, um zu verhindern, dass sein Sohn T ab dem 1.11.2007 ohne Versicherungsschutz dastand, einen neuen Versicherungsvertrag mit dem bisherigen Versicherer abgeschlossen hat, der gegenüber dem bisherigen Vertrag eine deutlich höhere Prämienbelastung und darüber hinaus Leistungsausschlüsse für Motopädie, Ergotherapie und Logopädie mit sich brachte.
Die Pflichtverletzung der Beklagten ist auch kausal für den eingetretenen Schaden. Es gilt die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens, d.h., es ist davon auszugehen, dass sich der Kläger so verhalten hätte, wie es die Beklagte richtigerweise empfohlen hätte … Somit ist zugrunde zu legen, dass der Kläger im Falle einer ordnungsgemäßen Beratung den alten Vertrag nicht gekündigt hätte.
2. Die so begründete Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz wird nicht eingeschränkt durch die von der Beklagten mit der Berufung geltend gemachten Einwände eines Mitverschuldens des Klägers bei der Entstehung des Schadens und eines Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht.
a. Das LG ist zu Recht davon ausgegangen, dass ein Mitverschulden des Klägers bei der Entstehung des Schadens gem. § 254 Abs. 1 BGB nicht vorliegt.
aa. Im Falle einer fehlerhaften Beratung in Bezug auf bestehende Risiken kann der Beratungspflichtige dem Geschädigten jedenfalls grundsätzlich nicht entgegenhalten, er habe die Risiken auch ohne entsprechenden Hinweis des Beratungspflichtigen selbst erkennen und seine Entscheidung danach ausrichten müssen. Die gegenteilige Annahme stünde im Widerspruch zum Grundgedanken der Aufklärungs- und Beratungspflicht (vgl. zum Einwand des Mitverschuldens bei der Erteilung unrichtiger Auskünfte BGH NJW-RR 1998, 16). Der Sinn einer Inanspruchnahme der Beratung besteht gerade darin, über bestehende Risiken aufgeklärt zu werden und eine Entscheidungshilfe bei deren Beurteilung zu erhalten. Der Beratungspflichtige hat als der in Anspruch genommene Experte überlegenes Wissen und kann beim Geschädigten nicht voraussetzen und von diesem verlangen, dass dieser insoweit eigene Erkenntnisse hat und einbringt.
bb. Daher wäre ein Mitverschulden hier allenfalls dann denkbar, wenn die Beklagte den Kläger in a...