ZPO § 115 Abs. 1 und 2; SGB II §§ 19 ff.
1. Leistungen, die nach dem SGB II gewährt werden, stellen Einkommen i.S. des § 115 ZPO dar; das gilt auch für solche, die dem Hilfebedürftigen als Alleinerziehendem für einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 SGB II pauschal gewährt werden.
2. Ein pauschaler Abzug dieses Mehrbedarfs im Rahmen des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO kommt nicht in Betracht.
BGH , Beschl. v. 5.5.2010 – XII ZB 65/10
Die Klägerin hatte in Prozessstandschaft für ihr im März 2003 geborenes Kind Kindesunterhalt eingeklagt. Das AG Perleberg – FamG – hat der Klägerin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Das OLG Brandenburg hat demgegenüber Ratenzahlungen in Höhe von monatlich 30 EUR angeordnet. Hierbei hat das OLG die der Klägerin zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gezahlten Leistungen und die Leistungen für Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 30 Abs. 3 SGB XII (richtig: § 21 Abs. 3 SGB II) berücksichtigt. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Klägerin hatte allein wegen veränderter Umstände bei ihren Einkommensverhältnissen Erfolg.
Aus den Gründen:
[9] “Zwar hat das Berufungsgericht die Leistungen, die der Klägerin nach dem SGB II gewährt werden, zu Recht als Einkommen i.S.d. § 115 ZPO gewertet. Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das Berufungsgericht einen pauschalen Abzug für einen Mehrbedarf der Klägerin als Alleinerziehende nicht in Betracht gezogen hat. Die Rechtsbeschwerde hat dennoch Erfolg, weil von dem Einkommen der Klägerin mit der Vollendung des siebten Lebensjahres ihres Kindes im März 2010 wegen der von da an gem. § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II reduzierten Mehrbedarfs-Leistungen eine Ratenzahlungsanordnung nicht mehr in Betracht kommt.
[10] a) Die Frage, ob SGB II-Leistungen Einkommen i.S.d. § 115 ZPO darstellen, ist in Rspr. und Literatur streitig (BGH – VIII. ZS – NJW-RR 2008,559 = RVGreport 2008, 240 (Hansens) = FamRZ 2008, 781 m.w.N.) und bislang höchstrichterlich nicht abschließend entschieden.
[12] bb) Vorliegend erhält die Klägerin neben der Regelleistung von 359 EUR Leistungen für einen Mehrbedarf als Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 SGB II (129 EUR); das Berufungsgericht ist insoweit von einer unzutreffenden Anspruchsgrundlage, nämlich § 30 Abs. 3 SGB XII, ausgegangen. Damit liegt sie bereits ohne Berücksichtigung des Kindergeldes über dem Freibetrag von 395 EUR. Wie mit der Zulage für Alleinerziehende im Rahmen des § 115 ZPO zu verfahren ist, hatte der VIII. Zivilsenat seinerzeit nicht zu entscheiden.
[13] b) Nach Auffassung des Senats stellen SGB II-Leistungen Einkommen i.S. des § 115 ZPO dar (ebenso etwa OLG Stuttgart FamRZ 2008, 1261, 1262; s.a. die weiteren Nachweise in BGH FamRZ 2008, 781).
[14] Ausweislich § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Darunter fallen nach dem Wortlaut auch staatliche Geldleistungen nach dem SGB II. Anders als § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II, der eine wortgleiche Definition des Einkommens aufweist, allerdings Leistungen nach dem SGB II vom Einkommensbegriff ausnimmt, enthält § 115 ZPO keinen solchen Ausnahmetatbestand. Dies spricht im Umkehrschluss dafür, dass nach § 115 ZPO auch SGB II-Leistungen Einkommen darstellen sollen.
[15] Somit sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Einkommen zu berücksichtigen.
[16] c) Dies gilt ebenso für die Leistungen, die dem Hilfebedürftigen als Alleinerziehendem für einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 SGB II pauschal gewährt werden.
[17] Freilich besteht hierbei die Besonderheit, dass diese Leistungen dem Hilfebedürftigen gem. § 21 Abs. 3 SGB II zweckgebunden für einen Mehrbedarf zugewandt werden, den der Gesetzgeber ihm als Alleinerziehendem pauschal zurechnet. Damit steht der Zulage ein entsprechender – wenn auch pauschal ermittelter – Bedarf gegenüber. Deshalb ist in Rspr. und Literatur umstritten, ob die entsprechenden Leistungen dem Einkommen hinzuzurechnen bzw. ob sie gem. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO – ebenfalls pauschal – vom Einkommen abzuziehen sind.
[18] aa) Während das KG (FamRZ 2007, 915) und das OLG Stuttgart (Beschl. v. 14.4.2009 – 8 WF 30/09 ) die Leistungen für diesen Mehrbedarf nicht als Einkommen i.S.d. § 115 ZPO berücksichtigen, stellen sie nach Auffassung des OLG Nürnberg (FamRZ 2010, 395) ein solches Einkommen dar. Gleichzeitig spricht sich das OLG Nürnberg gegen eine pauschale Abzugsfähigkeit des Mehrbedarfs für Alleinerziehende im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens aus; denn § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO sehe weder eine Pauschalierung vor, noch nehme die Norm auf die entsprechende Vorschrift des § 21 Abs. 3 SGB II Bezug.
[19] bb) In der Literatur wird vereinzelt vertreten, die den Alleinerziehenden gewährten Mehrbedarfsbeträge seien bei der Einkommensermittlung außer Betracht zu lassen (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Aufl., Rn 232, zu § 30 Abs. 3 SGB XII). Überwiegend wird jedoch die Auffassung vertreten, die Mehrbedarfsbeträge seien ...