Gerade bei Heckkollisionen wird häufig argumentiert, dass der Betroffene auf den Unfall nicht vorbereitet gewesen sei und somit keine Muskelanspannung habe aufbauen können, weshalb er verletzungsanfälliger wäre.
Zunächst ist erst einmal zu berücksichtigen, dass sich schon beim wachen und aufrecht sitzenden Menschen eine Grundanspannung der Muskulatur ergibt, die entsprechende Bewegungsabläufe kompensiert. Auf die Alltagseinflüsse, die auf die HWS einwirken, wurde bereits hingewiesen.
Schon 1994 konnte nachgewiesen werden, dass selbst bei Probanden mit der Antizipation eines Unfallgeschehens bei gleichzeitiger Unkenntnis der Art des Aufpralles keine Beschwerden auftraten.
In der so genannten Null-Studie 2000 konnte festgestellt werden, dass 20 Prozent der Probanden "schleudertraumaähnliche" Beschwerden angaben, obwohl die Auffahrkollision nur simuliert worden war.
Diese Studie zeigt eindeutig, dass empfundene Beschwerden im HWS-Bereich nach einem Auffahrunfall auch von psychosomatischen Faktoren beeinflusst werden, weshalb dem ärztlichen Attest aufgrund der Subjektivität des Patienten allenfalls geringe Bedeutung beigemessen werden kann.
Dass in den ärztlichen Attesten lediglich eine Diagnose nach den Angaben des Patienten angegeben ist, der es meistens an einer Dokumentation von Beeinträchtigungen, Befunden oder krankheitswertigen Beschwerden mangelt, rügt auch Prof. Dr. med. Betz von der Universität München.
Insoweit stellt sich die immer wiederkehrende Argumentation in Anspruchsbegründungen zum Überraschungseffekt und der fehlenden Muskelanspannung bei Heckauffahrunfällen als Freud'scher Fehler dar, dass der andere Unfallbeteiligte ungebremst aufgefahren sei, weshalb der Anspruchsteller überrascht und keine entsprechende Muskelanspannung aufbauen konnte.
Hier stellt sich schon die Frage, wie der Anspruchsteller gesehen haben will, dass der Andere ungebremst aufgefahren ist, weil man naturgemäß die Bremslichter des Auffahrenden nicht sehen kann.
Selbst wenn man in den Rückspiegel sieht und registriert, dass der Nachfolgende nicht mehr bis zur Kollision mit dem eigenen Fahrzeug abbremsen kann, ergibt sich schon psychologisch im Unterbewusstsein eine Abwehrhaltung, die zu einer entsprechenden Muskelanspannung führt.
Eine solche rückwärts gewandte Betrachtung des nachfolgenden Verkehrs dürfte eher die Ausnahme sein, da dies wiederum Rückschlüsse auf das eigene Fahrverhalten des Anspruchstellers zulässt, was zu hinterfragen ist.
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bei nichtständiger Beobachtung des rückwärtigen Verkehrs gar keine Aussage dazu getroffen werden kann, ob ungebremst aufgefahren wurde, so dass keine Angaben zur Relativgeschwindigkeit gemacht werden können.
Diese Fragen wären dem Anspruchsteller im Rahmen seiner Einvernahme gem. §§ 447, 448 ZPO zu stellen und in den entsprechenden Gutachten zu berücksichtigten.