Richtlinie 91/439/EWG Art. 8 Abs. 2; StVG § 29; FeV § 28 Abs. 4
Leitsatz
1. Ein Wohnsitzverstoß führt auch unionsrechtlich im Anwendungsbereich der 2. Führerscheinrichtlinie bereits zur Befugnis des Aufnahmemitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat erteilte EU-Fahrerlaubnis nicht anzuerkennen, ohne dass es auf die vorherige zusätzliche Anwendung einer Maßnahme des Entzugs o.ä. der Fahrerlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat ankommt.
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob der Berechtigung aus einer im Ausland erteilten EU-Fahrerlaubnis ungetilgte Maßnahmen des Entzugs o.ä. entgegenstehen, ist der Zeitpunkt der Erteilung dieser EU-Fahrerlaubnis. Der spätere Zeitpunkt des Erlasses eines Feststellungsbescheids über die Nichtberechtigung ist insoweit unerheblich.
3. Einer von der Fahrerlaubnisbehörde in einem Vergleich mit dem Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis eingegangenen Verpflichtung zur Aufhebung einer Gutachtensanordnung ist nicht ohne Weiteres die Anerkennung einer Berechtigung aus der EU-Fahrerlaubnis zu entnehmen.
VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.5.2011 – 10 S 2640/10
1 Aus den Gründen:
„Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO ist der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts bei Beschwerden gegen Beschl. des VG in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beschränkt. Danach prüft der VGH nur die in einer rechtzeitig eingegangenen Beschwerdebegründung dargelegten Gründe.
Auf dieser Grundlage hat die Beschwerde keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen nicht dazu, dass die vom Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO vorzunehmende Abwägung zugunsten des Interesses des Antragstellers ausfällt, vom Vollzug der Verfügung des Antragsgegners v. 20.8.2010 bis zu einer endgültigen Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben. Mit dieser Verfügung hat die Fahrerlaubnisbehörde festgestellt, dass der Antragsteller nicht berechtigt ist, aufgrund seiner im Jahre 2005 in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet ein Kfz zu führen. Auch unter Berücksichtigung des knappen Vorbringens in der Beschwerdebegründung ist nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage von der Rechtmäßigkeit dieser feststellenden Verfügung auszugehen. Im Übrigen überwiegt selbst bei einer von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängigen Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung.
1. Nach nationalem Recht begegnet die auf § 28 Abs. 4 S. 2 FeV in der hier anzuwendenden Fassung v. 7.1.2009 (BGBl I S. 29) gestützte Verfügung des Landratsamts keinen rechtlichen Bedenken; nach dieser Vorschrift kann die Behörde in den Fällen des S. 1 Nr. 2 und 3 einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung zum Führen von Kfz im Inland aufgrund einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis erlassen.
Gem. § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung, Kfz im Inland zu führen, nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten. In dem am 11.7.2005 in der Tschechischen Republik ausgestellten, einen Fahrerlaubniserwerb am 30.5.2005 ausweisenden Führerschein des Antragstellers ist unter Ziff. 8 sein inländischer deutscher Wohnsitz eingetragen. Nach der Systematik des § 28 Abs. 4 FeV ist S. 1 Nr. 2 unabhängig davon anwendbar, ob zuvor eine (inländische) Fahrerlaubnis entzogen bzw. bestandskräftig versagt worden ist oder ob es an einer solchen vorgängigen Entzugsmaßnahme, etwa im Falle eines Ersterwerbers, fehlt.
Darüber hinaus dürfte im Falle des Antragstellers aus den vom VG angeführten Gründen auch die alternativ zu verstehende Voraussetzung des § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 FeV vorliegen. Der Senat teilt bei summarischer Prüfung insb. die Rechtsauffassung des VG, dass der Berücksichtigung der wegen einer Trunkenheitsfahrt durch Strafbefehl des AG S v. 30.7.1993 erfolgten Entziehung der früheren deutschen Fahrerlaubnis des Antragstellers nicht die gem. § 28 Abs. 4 S. 3 FeV zu beachtenden Tilgungsvorschriften des § 29 StVG entgegenstehen. Die auf den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt für die angefochtene Feststellungsverfügung abhebenden Einwände, mit denen der Antragsteller sich gegen die vom VG insoweit herangezogene Rspr. des VG München (Beschl. v. 25.5.2010 – M 66 10.32 –, …) wendet, erweisen sich als nicht stichhaltig.
Es trifft zwar zu, dass in Bezug auf den Feststellungsbescheid nach § 28 Abs. 4 S. 2 FeV grundsätzlich der Zeitpunkt der insoweit letzten Behördenentscheidung (regelmäßig des Widerspruchsbescheids) der für die Beurteilung seiner Rechtmäßigkeit maßgebliche Zeitpunkt sein dürfte. Dies ändert indes nichts daran, dass das maßgebliche materielle Recht für die Prüfung des Vorliegens einzelner Tatbestandsvoraussetzungen einen anderen zeitlichen Anknüpfungspunkt vorsehen kann (vgl. Senatsbeschl. v. 30.11.2010 – 10 S 1860/10, NJW 2011, 628...