„… B. … Zum Nachweis der Fahrereigenschaft des Betroffenen stand lediglich das im Rahmen der Geschwindigkeitsmessung gefertigte "Frontfoto" zur Verfügung. Anderweitige Beweismittel waren nicht gegeben. Es kam deshalb im Rahmen der Beweiswürdigung auf die Frage an, ob die gefertigten Frontfotos von dem gemessenen Pkw-Fahrer trotz des ausdrücklichen Widerspruches des Betroffenen zu Beweiszwecken verwertet werden durften. Diese Frage hat das Gericht verneint. Für die gefertigten Frontfotos bestand nämlich ein Beweiserhebungsverbot, welches aufgrund des ausdrücklichen Widerspruchs des Betroffenen zu einem Beweisverwertungsverbot führte. Die Messfotos konnten deshalb nicht zu Lasten des Betroffenen verwertet werden.
I. Es bestand ein Beweiserhebungsverbot, weil die erforderliche gesetzliche Grundlage für die Anfertigung der Messfotos fehlte .…
2. Um die hier getroffene Entscheidung besser einordnen zu können, sind zunächst einige Vorbemerkungen erforderlich.
a) Nach § 47 Abs. 1 OWiG liegt die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Dieses Ermessen erstreckt sich auf das gesamte Verfahren bis hin zur jeweiligen Rechtsfolge einer Bußgeldentscheidung. Bei einem derartig weiten Ermessensspielraum ist somit ein Ordnungswidrigkeitenverfahren anfällig für sachfremde Erwägungen. Es ist deshalb zu prüfen, ob und in welchem Umfang es verbindliche Regelungen gibt, wie das pflichtgemäße Ermessen ausgeübt wird, wie diese Ausübung dokumentiert wird, und welche Möglichkeiten ein Betroffener hat, die Ermessensausübung gerichtlich überprüfen zu lassen. Es ist außerdem zu klären, ob ein Bußgeldverfahren überhaupt geeignet ist, die angestrebten Ziele der Verkehrsüberwachung, nämlich die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehres zu erreichen, und ob es anstelle oder neben einer bußgeldbewehrten Verkehrsüberwachung andere Möglichkeiten der Verkehrslenkung gibt, die sinnvoller und effektiver sein könnten. …
c) Im Rahmen der Ermessensausübung bei der Feststellung und Ahndung der Verkehrsordnungswidrigkeiten gibt es nur wenige Regelungen durch Gesetz oder Rechtsverordnung. Auf der Rechtsfolgenseite ist hier die Bußgeldkatalogverordnung zu nennen, in der festgelegt ist, welche Geldbußen oder Verwarnungsgelder bei Verkehrsverstößen festgelegt werden sollen. Aus der Bußgeldkatalogverordnung kann jedoch nicht entnommen werden, auf welche Art und Weise die Verkehrsverstöße geahndet werden und warum überhaupt eine solche Ahndung erfolgen soll. Die Bußgeldkatalogverordnung gibt im Übrigen keinerlei Anhaltspunkte für die Frage, aufgrund welcher Ermächtigungsgrundlage Bildaufnahmen im Straßenverkehr gemacht werden.
In den Gesetzen der Länder für die Ordnungsbehörden und die Polizei finden sich, soweit ersichtlich, keine gesetzlichen Regelungen, die sich mit der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens bei der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten befassen. In § 48 des Ordnungsbehördengesetzes für Nordrhein-Westfalen und in den entsprechenden Ordnungsbehördengesetzen der anderen Länder gibt es allerdings Zuständigkeitsregelungen, wonach bestimmte Ordnungsbehörden für die Verfolgung von Geschwindigkeitsüberschreitungen und Verstößen an die Lichtzeichenanlagen "an Gefahrenstellen" zuständig sind. Nähere gesetzliche Ausführungen zu der Frage, was unter einer "Gefahrenstelle" zu verstehen ist, gibt es jedoch nicht. Aufgrund dieser gesetzlichen Regelungen dürfen die Ordnungsbehörden Geschwindigkeitsübertretungen nur unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich an Gefahrenstellen, verfolgen. Wenn sie Messungen außerhalb von Gefahrenstellen tätigen, sind sie zunächst einmal unzuständig, zum anderen aber liegt auch ein Ermessensfehlgebrauch vor. In solchen Fällen lässt sich nämlich die Verfolgungstätigkeit der Ordnungsbehörde nur mit fiskalischen Gesichtspunkten erklären. Fiskalische Gesichtspunkte sind aber weder durch die Vorschriften der Polizeigesetze, der Ordnungsbehördengesetze oder der Straßenverkehrsgesetze abgedeckt. (vgl. dazu: Hentschel, Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, § 26 StVG Rn 2).
In den Richtlinien der Bundesländer zur Geschwindigkeitsüberwachung, die sowohl für die Polizei als auch für die Ordnungsbehörden gelten, finden sich unterschiedliche Regelungen zu den Grundsätzen und Zielen einer Geschwindigkeitsüberwachung und für die Auswahl der jeweiligen Messstellen (vgl. dazu die Übersicht von Sobisch, DAR 2010 S. 48 ff.). Allen Richtlinien der Bundesländer ist jedoch gemeinsam, dass es keinerlei Regelungen gibt, wonach fiskalische Überlegungen für eine Verkehrsüberwachung zulässig sein sollen.
Es stellt sich nunmehr die Frage, wie zu verfahren ist, wenn Verkehrsüberwachungsmaßnahmen nicht wegen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und zur Gefahrenabwehr erfolgen, sondern ausschließlich oder überwiegend aus fiskalischen Interessen der Verfolgungsbehörden, denen die festgesetzten Geldbußen zufließen. Nach § 90 OWiG in Verbindung mit den jeweiligen Landesgesetzen landen Bußgelder näml...