SGB VII § 106 Abs. 3 Alt. 3
Leitsatz
Der Mitarbeiter eines Baumarkts, der gekaufte Ware mit einem Gabelstapler aus dem Lager in den Bereich der Ladezone transportiert und dort zur Verladung durch den Käufer bereit stellt, verrichtet seine Tätigkeit nicht notwendigerweise auf einer "gemeinsamen Betriebsstätte" mit dem Arbeitnehmer des Käufers, der die Ware mit einem Transportfahrzeug abholen will.
BGH, Urt. v. 10.5.2011 – VI ZR 152/10
Sachverhalt
Der Kl. fuhr mit einem Kleintransporter seines Arbeitgebers zu einem Baumarkt, in dem er für seinen Arbeitgeber sechs Säcke Estrichzement kaufte. Nach der Bezahlung begab er sich zu der Ladezone für Warenabholer. Dem als Arbeitnehmer des Baumarktes tätigen Bekl. übergab er den Kaufbeleg. Der Bekl. holte mit einem Gabelstapler aus dem Lager eine Palette mit ca. 1,5 Tonnen Estrichzement. Er fuhr den Gabelstapler bis auf zwei Meter an den in der Ladezone geparkten Kleintransporter heran, damit die Säcke eingeladen werden konnten. Als er aus dem Gabelstapler ausstieg, setzte sich dieser in Bewegung und verletzte den mit dem Rücken zu dem Gabelstapler an dem Kleintransporter stehenden Kl.
Der Unfall wurde von der Unfallversicherung als Arbeitsunfall des Kl. anerkannt. Der Streit der Parteien dreht sich darum, ob die zivilrechtliche Haftung des Bekl. für den Personenschaden ausgeschlossen ist, weil es sich um einen Unfall auf einer gemeinsamen Betriebsstätte gem. § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII gehandelt habe. Zum Hergang des Unfalls haben die Parteien unterschiedliche Darstellungen gegeben. Der Kl. hat behauptet, der Bekl. sei nach dem Abstellen des Gabelstaplers zurück ins Lager gegangen, der Bekl. hat geltend gemacht, er habe dem Kl. beim Einladen der Zementsäcke helfen wollen. Der Gabelstapler habe sich aber sofort nach seinem Aussteigen in Bewegung gesetzt.
Der Kl. hat erstinstanzlich im Wege der offenen Teilklage einen Schmerzensgeldteilbetrag von 900 EUR geltend gemacht. In der Berufungsinstanz hat der erstinstanzlich in voller Höhe obsiegende Kl. nach Einlegung der Berufung durch den Bekl. klageerweiternd die Verurteilung des Bekl. zur Zahlung von Schmerzensgeld nicht unter 3.000 EUR verfolgt. Das BG hat unter teilweise Zurückweisung der Anschlussberufung des Kl. und vollständiger Zurückweisung der Berufung des Bekl. diesen verurteilt, an den Kl. ein Schmerzensgeld von 2.500 EUR zu zahlen. Die Revision des Bekl., der sich gegen die Verneinung des Vorliegens einer gemeinsamen Betriebsstätte und damit für einen zu seinen Gunsten eingreifenden Haftungsausschluss für Personenschäden des Kl. wandte, hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[12] „… a) Nach der gefestigten Rspr. des erkennenden Senats erfasst der Begriff der “gemeinsamen Betriebsstätte’ betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein (vgl. Senatsurt. v. 17.10.2000 – VI ZR 67/00, BGHZ 145, 331, 336; v. 24.6.2003 – VI ZR 434/01, BGHZ 155, 205, 207 f.; v. 16.12.2003 – VI ZR 103/03, BGHZ 157, 213 ff. … ). § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ist nicht schon dann anwendbar, wenn Versicherte zweier Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinander treffen. Eine “gemeinsame’ Betriebsstätte ist nach allgemeinem Verständnis mehr als “dieselbe’ Betriebsstätte; das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfüllt den Tatbestand der Norm nicht. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als “gemeinsame’ Betriebsstätte rechtfertigt (vgl. Senatsurt. v. 23.1.2001 – VI ZR 70/00, VersR 2001, 372, 373; v. 14.9.2004 – VI ZR 32/04, VersR 2004, 1604 f.; … ).
[13] b) Nach diesen Grundsätzen ist die Beurteilung des BG, im Unfallzeitpunkt habe keine “gemeinsame Betriebsstätte’ vorgelegen, rechtsfehlerfrei.
[14] aa) Allerdings kann dies entgegen der Ansicht des BG nicht damit begründet werden, dass zwischen den Arbeitgebern der Parteien lediglich ein Kaufvertrag geschlossen worden sei und die bei dessen Erfüllung erbrachte Ladehilfe des Verkäufers keine “gemeinsame Betriebsstätte’ begründen könne. Die vertraglichen oder sonstigen Beziehungen, die zu dem Tätigwerden der Arbeitnehmer der verschiedenen Unternehmen geführt haben, spielen für die Beurteilung, ob eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt, keine Rolle. Der Haftungsausschluss knüpft all...