RVG-VV Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1, StPO § 153a
Leitsatz
Die Zusatzgebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 RVG-VV fällt nicht an, wenn ein Strafverfahren in der Hauptverhandlung nach § 153a StPO vorläufig eingestellt wird und nach Erbringung der Auflage die endgültige Einstellung erfolgt.
BGH, Urt. v. 14.4.2011 – IX ZR 153/10
Sachverhalt
Gegen den Kl. wurde ein Strafverfahren wegen einer Verkehrsstraftat geführt, in dem er sich durch seine Verteidigerin vertreten ließ. Im Hauptverhandlungstermin stellte das Gericht das Strafverfahren gem. § 153a StPO unter der Auflage vorläufig ein, 1.200 EUR an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen. Nach vollständiger Zahlung des Geldbetrages stellte das Gericht das Verfahren endgültig ein.
Die Rechtsanwältin rechnete – soweit von Interesse – eine zusätzliche Gebühr nach Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 4141 RVG-VV für die Erledigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung ab. Die bekl. Rechtsschutzversicherung, von der der Kl. die Freistellung von der zusätzlichen Gebühr verlangte, vertrat die Ansicht, diese Gebühr sei nicht angefallen.
Das AG hat der Klage stattgegeben; das LG hat sie abgewiesen. Die zugelassene Revision des Kl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[5] Das BG hat ausgeführt, der Kl. habe keinen Anspruch auf Freistellung von der nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 RVG-VV angesetzten Gebühr, weil diese nicht angefallen sei. Eine zusätzliche Gebühr aufgrund der vorgenannten Bestimmung könne nicht entstehen, wenn eine Hauptverhandlung durchgeführt worden sei. Bereits der Wortlaut der angeführten Vergütungsregelung lege diese Auslegung nahe, weil die Einleitung zum Gebührentatbestand davon spreche, dass durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich werde. Auch aus dem Sinn und dem Zweck der Vorschrift folge dieses Ergebnis. Intensive und zeitaufwändige Tätigkeiten des Strafverteidigers, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Terminsgebühr führten, sollten gebührenrechtlich honoriert werden. Ziel der Regelung sei damit eine Verringerung der Arbeitsbelastung der Gerichte. Sei bereits eine Hauptverhandlung durchgeführt worden, könne dieses Ziel nicht mehr erreicht werden.
II.
[6] Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand. Das BG ist mit Recht davon ausgegangen, dass die vom Kl. geltend gemachte zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 RVG-VV nicht angefallen ist.
[7] 1. Die Gebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 des VV zu § 2 Abs. 2 S. 1 RVG (fortan: RVG-VV), die allgemein als Befriedungsgebühr bezeichnet wird (Hartung in Hartung/Schons/Enders, RVG, Nr. 4141 Rn 1; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., Nr. 4141 RVG-VV Rn 1), entsteht, wenn "das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird" (Abs. 1 Nr. 1 der Erläuterungen). Der angeführten Norm hat der Gesetzgeber folgenden Eingangsatz im Gebührentatbestand vorangestellt: "Durch die anwaltliche Mitwirkung wird die Hauptverhandlung entbehrlich."
[8] a) Wie der Begriff "die Hauptverhandlung" im hier vorliegenden Fall der endgültigen Einstellung eines Verfahrens nach § 153a StPO zu verstehen ist, ob die Gebühr also auch dann verdient ist, wenn das Strafverfahren im Rahmen einer Hauptverhandlung vorläufig eingestellt wird und die endgültige Einstellung nach vollständiger Erfüllung der Auflagen geschieht, ist im Gesetz nicht näher geregelt.
[9] b) In der instanzgerichtlichen Rspr. und der Literatur werden hierzu drei unterschiedliche Auffassungen vertreten.
[10] aa) Die Befriedungsgebühr falle stets an, weil der im Termin zur Hauptverhandlung beschlossenen vorläufigen Einstellung eine neue Hauptverhandlung nachfolgen müsste, wenn der Angeklagte die Auflage nicht vollständig erfülle. Diese neue Hauptverhandlung werde durch die endgültige Einstellung vermieden (Hansens, zfs 2010, 288 in der Anm. zur Entscheidung des AG im vorliegenden Verfahren).
[11] bb) Die Befriedungsgebühr falle niemals an, weil eine Hauptverhandlung, in die schon eingetreten sei, nicht mehr – wie es Nr. 4141 RVG-VV voraussetze – entbehrlich gemacht werden könne (LG Detmold AGS 2009, 588, 589 zu RVG-VV Nr. 5115; AG München JurBüro 2011, 26; Hartmann, KostG, 41. Aufl., Nr. 4141 RVG-VV Rn 3).
[12] cc) Die dritte Ansicht differenziert danach, ob eine unterbrochene Hauptverhandlung vorliegt oder nach Aussetzung eine neue Hauptverhandlung anzuberaumen ist. Bestünde eine einheitliche Hauptverhandlung, deren weiterer Fortgang durch eine Einstellung abgekürzt werde, genüge dies nicht, um die Befriedungsgebühr entstehen zu lassen. Anders liege es nur, wenn die Einstellung nach Aussetzung der Hauptverhandlung erfolge, weil hier die neue Hauptverhandlung entbehrlich werde (OLG Köln AGS 2006, 339, 340; OLG Bamberg AGS 2007, 138, 139; OLG Hamm AGS 2008, 228; Burhoff, in Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 19. Aufl., VV 4141 Rn 21; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, a.a.O Rn 21; Hartung in Hartung/Schons/Enders, a.a.O Rn 16 ff.; Uher in Bischof u.a., RVG, 3. Aufl., VV 4141 Rn 115a; Schneider in AnwKomm/RVG, 5. Aufl., VV 4141 Rn 44 ff.).
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