OWiG § 73 § 74
Leitsatz
1. Es ist Ausdruck des Anspruchs auf ein faires Verfahren, dass ein Betr. – insb. auch, wenn er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden ist – sich eines Anwalts seines Vertrauens bedienen darf.
2. Die Versagung rechtlichen Gehörs kann darin liegen, dass der Tatrichter den Verlegungsantrag schon nicht zur Kenntnis genommen hat, obwohl dieser noch rechtzeitig bei der Geschäftsstelle eingegangen war und der Verteidiger darüber hinaus telefonisch versucht hat, die Vorlage an den Tatrichter sicherzustellen.
OLG Dresden, Beschl. v. 12.2.2013 – Ss 911/12 (Z)
Sachverhalt
Das AG Leipzig hat die Betr. wegen "fahrlässigen Rotlichtverstoßes" zu einer Geldbuße von 90 EUR verurteilt. Die Betr. war auf eigenen Antrag vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden und hat an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen. Mit am Hauptverhandlungstag um 12.48 Uhr beim AG eingegangenem Fax hatte der Verteidiger mitgeteilt, dass er aufgrund einer verzögerten Gerichtsverhandlung nicht zum Termin, 13.30 Uhr, pünktlich erscheinen könne und beantragte daher eine Verlegung des Termins auf 14.30 Uhr bzw. eine Aufhebung des Termins. Dieses Fax wurde dem Amtsrichter erst nach Durchführung der Hauptverhandlung vorgelegt. Gegen 14.15 Uhr erschien der Verteidiger bei Gericht. In ihrem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde rügt die Betr. die Versagung rechtlichen Gehörs. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Rechtsbeschwerde wegen Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen und das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.
2 Aus den Gründen:
"Die Rechtsbeschwerde war auf die zulässige Verfahrensrüge der Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen, das angefochtene Urteil in der Folge aufzuheben."
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat in ihrer Stellungnahme vom 5.2.2013 hierzu wie folgt ausgeführt:
“I. … Die Betr. trägt über ihren Verteidiger vor, dass diese am 7.9.2012 per Fax um 12.48 Uhr um Terminsverlegung bzw. Aufhebung gebeten habe, weil ein vorher wahrgenommener Gerichtstermin länger andauerte und sich das Eintreffen des Verteidigers deshalb verzögern würde. Des Weiteren sei erfolglos versucht worden, die zuständige Geschäftsstelle telefonisch zu erreichen.
Dieses Fax wurde von der Geschäftsstelle jedoch erst um 14.04 Uhr zur Kenntnis genommen.
II. Der Zulassungsantrag hat Aussicht auf Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, denn die Betr. hat über ihren Verteidiger insb. vorgetragen, was in der Hauptverhandlung zu ihrer Verteidigung vorgebracht worden wäre und auch die weiteren Umstände im Zusammenhang mit dem Verlegungsantrag des Verteidigers wurden hinreichend dargelegt.
Vorliegend ist ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör gegeben, denn dem Terminverlegungsgesuch des Verteidigers hätte – wenn es rechtzeitig vom AG hätte zur Kenntnis genommen werden können – stattgegeben werden müssen. Es ist zwar dem Tatgericht nicht vorzuwerfen, dass es aufgrund der Kürze der Zeit und des laufenden Sitzungstages von dem Gesuch keine Kenntnis erlangt hatte, jedoch ist es Ausdruck des Anspruchs auf ein faires Verfahren, dass ein Betr. – insb. auch wenn er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden ist – sich eines Anwalts seines Vertrauens bedienen darf. Die gebotene Ermessensentscheidung im Hinblick auf das Verlegungsgesuch ist aufgrund der zeitlichen Umstände im hier gegenständlichen Fall gänzlich entfallen, so dass nur die Zulassung der Rechtsbeschwerde und die Aufhebung des Urteils in Betracht kommen.‘
Diese zutreffenden Ausführungen sind dahingehend zu ergänzen, dass die Versagung rechtlichen Gehörs darin liegt, dass der Tatrichter den Verlegungsantrag schon nicht zur Kenntnis genommen hat, obwohl dieser noch rechtzeitig bei der Geschäftsstelle eingegangen war und der Verteidiger darüber hinaus telefonisch versucht hat, die Vorlage an den Tatrichter sicherzustellen. Der Umstand, dass es dem Verteidiger aus Gründen, die in der Sphäre des Gerichts liegen, nicht gelungen ist, die Kenntnisnahme des Verlegungsantrags sicherzustellen, kann nicht zu Lasten der Betr. gehen. Daher war die Rechtsbeschwerde zuzulassen und das zugrunde liegende Urteil war aufzuheben.“
Mitgeteilt von RA Steffen Körbs, Bitterfeld-Wolfen
3 Anmerkung:
Die Entscheidung beinhaltet gleich mehrere Problemfelder des Verfahrens nach §§ 73, 74 OWiG. Wird ein Terminsverlegungsantrag des Betr. unsachgemäß (z.B. "Ansonsten wäre an dem Terminstag kein anderes Verfahren zu der Uhrzeit terminierbar") abgelehnt, stellt das nachfolgende Verwerfungsurteil eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar (OLG Bamberg StraFo 2011, 232). Die Ablehnung eines auf die Verhinderung des Verteidigers gestützten Terminsaufhebungs- oder -verlegungsantrags als solche berührt den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG jedoch nicht, so dass ein Verwerfungsurteil in diesem Fall nur verfahrensfehlerhaft wäre: Der Betr. könnte sich ja dennoch rechtliches Gehör verschaffen; es liegt aber möglicherweise ein Verstoß gegen die prozessuale Fürsorgepfl...