VVG § 115 Abs. 2 S. 3
Leitsatz
Eine positive Entscheidung des VR beendet die Verjährungshemmung i.S.d. § 115 Abs. 2 S. 3 VVG nur dann, wenn der Anspruchsteller aufgrund dieser Entscheidung sicher sein kann, dass auch künftige Forderungen aus dem Schadensfall freiwillig bezahlt werden, sofern er die entsprechenden Schadensposten der Höhe nach ausreichend belegt. Demgemäß muss die Erklärung zu den Ansprüchen erschöpfend, umfassend und endgültig sein (Bestätigung Senatsurt. v. 5.12.1995 – VI ZR 50/95, NJW-RR 1996, 474).
BGH, Urt. v. 14.3.2017 – VI ZR 226/16
Sachverhalt
Der Kl. nimmt die Bekl. aus übergegangenem Recht (§ 116 SGB X) auf die Erstattung von Sozialhilfeleistungen in Anspruch. Die Bekl. erhebt die Einrede der Verjährung.
Der Kl. – eine Gebietskörperschaft in Bayern – ist Träger der Sozialhilfe. Als solcher erbringt er seit dem 10.8.2012 Sozialhilfeleistungen an den Geschädigten, auf die dieser wegen der gesundheitlichen Folgen eines Verkehrsunfalls v. 19.8.2005 angewiesen ist. Die Bekl. ist als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners dem Grunde nach zu zwei Dritteln für die Folgen des Unfalls einstandspflichtig. Der Geschädigte erhielt zunächst seit August 2006 Eingliederungshilfe (§§ 53, 54 SGB XII) vom Landkreis T – als dem damals örtlich zuständigen Sozialhilfeträger. Der Landkreises T meldete am 5.7.2007 Regressforderungen bei der Bekl. an. Mit Schreiben v. 19.10.2009 rechnete die Bekl. gegenüber dem Landkreises T über die von dort mitgeteilten Kosten der Eingliederungshilfe bis Dezember 2008 ab. Die Kosten für eine sich anschließende Berufsausbildung des Geschädigten in einem Rehabilitationszentrum in M wurden von Juli 2009 bis zum 9.8.2012 von der Rentenversicherung B getragen.
Erstmals mit Schreiben v. 8.7.2013 machte der Kl. gegenüber der Bekl. Ersatzansprüche geltend. Die Bekl. wies die Zahlungsforderung von zuletzt 41.424,34 EUR als verjährt zurück.
2 Aus den Gründen:
[5] "… Die Ausführungen des BG vermögen seine Beurteilung, der Klageanspruch sei verjährt, nicht zu tragen."
[6] Die Beurteilung des BG, die durch die Anspruchsanmeldung des Landkreises T v. 5.7.2007 ausgelöste Verjährungshemmung habe mit dem Abrechnungsschreiben der Bekl. v. 19.10.2009 ihr Ende gefunden, beruht darauf, dass es an die Entscheidung des VR i.S.d. § 115 Abs. 2 S. 3 VVG zu geringe rechtliche Anforderungen gestellt hat (vgl. Senat NJW-RR 1996, 474). Bei zutreffender Betrachtung ist eine die Verjährungshemmung beendende Entscheidung der Bekl. nicht ergangen. Damit ist die vorliegende Klage auch dann in unverjährter Zeit erhoben worden, wenn man mit dem BG von einer Rechtsnachfolge zwischen dem Landkreises T und dem Kl. ausgehen wollte.
[7] 1. Der Senat ist an der revisionsrechtlichen Überprüfung der rechtlichen Folgen des Abrechnungsschreibens der Bekl. v. 19.10.2009 nicht dadurch gehindert, dass die Revision lediglich die Auffassung des BG beanstandet, der Kl. sei Rechtsnachfolger des Landkreises T – geworden. Da nämlich die Revision die Aufhebung des angefochtenen Urteils begehrt und ihre Rüge zum Fehlen der Verjährungsvoraussetzungen mangels Rechtsnachfolge den geltend gemachten Anspruch vollständig erfasst, ist der Streitgegenstand insgesamt in der Revisionsinstanz angefallen. Damit ist die revisionsrechtliche Nachprüfung des Berufungsurteils ohne Bindung an die erhobenen Sachrügen uneingeschränkt eröffnet. …
[9] 2. Entgegen der Auffassung des BG ist in dem Abrechnungsschreiben der Bekl. v. 19.10.2009 keine die Hemmung beendende Entscheidung des VR i.S.d. § 115 Abs. 2 S. 3 VVG zu sehen. Nach dieser Vorschrift ist die Verjährung des bei dem VR angemeldeten Anspruchs bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, zu dem die Entscheidung des VR dem Anspruchsteller in Textform zugeht.
[10] a) Zwar kann nicht nur eine ablehnende, sondern auch eine anspruchsbejahende, für den Geschädigten positive Erklärung des VR eine Entscheidung i.S.d. § 115 Abs. 2 S. 3 VVG darstellen (vgl. dazu im Einzelnen Senat BGHZ 114, 299, 301 ff. [zu § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG a.F.]). Jedoch können nur solche positiven Bescheide als Entscheidung im Sinne dieser gesetzlichen Vorschrift gewertet werden, die eine klare und umfassende Erklärung des VR aufweisen. Dabei hängt die Wertung, ob eine Erklärung des VR den insoweit maßgeblichen Anforderungen genügt, wesentlich von der Würdigung der Umstände des Einzelfalls ab. Indes kann die Verjährungshemmung nur dann ihr Ende finden, wenn dem Anspruchsteller durch die Erklärung zweifelsfreie Klarheit über die Haltung des Haftpflichtversicherers des Schädigers gegenüber seinen Forderungen als Grundlage für die sachgerechte Durchsetzung seiner Ansprüche verschafft wird. Im Hinblick auf den Schutzzweck des § 115 Abs. 2 S. 3 VVG beendet eine positive Entscheidung des VR die Verjährungshemmung daher nur dann, wenn der Geschädigte – oder wie hier sein Zessionar – aufgrund dieser Entscheidung sicher sein kann, dass auch künftige Forderungen aus dem Schadensfall freiwillig bezahlt werden, sofern der Anspruchsteller die entsprechenden Schadensposten der Höhe nach ausreichend belegt...