1
Mit seiner Grundsatzentscheidung vom 22.2.2017 hat der BGH eine Reihe an Vorgaben aufgestellt, welche sowohl die außergerichtliche Regulierung als auch die Prozesspraxis im Bereich der Personenversicherung im ganz erheblichen Umfang beeinflussen wird. Er setzt damit Vorgaben des BVerfG in Form eines "gestuften Dialoges" bei dem Umgang mit personenbezogenen Gesundheitsdaten um. Zugleich wird die Reichweite von Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls im Hinblick auf eine Aufklärung möglicher Verletzungen von Anzeigeobliegenheiten in einem weit zurückliegenden Zeitraum vor dem Abschluss des Versicherungsvertrags geklärt. Wie im Einzelnen der insoweit vom BGH nunmehr entwickelte "gestufte Dialog" in der Praxis umgesetzt werden kann, wird sich in Zukunft zeigen und bisher gibt es nur eine durch Beispiele geprägte "grobe Segelanweisung" aus höchstrichterlicher Hand.
A. Die Grundsatzentscheidung des BGH und ihre verfassungsrechtlichen Vorgaben
Die Aufklärung eines Versicherungsfalls in der Personenversicherung führt zwangsläufig dazu, dass der Versicherer (im Folgenden immer als VR bezeichnet) eine Vielzahl an (besonderen) personenbezogenen Daten überprüfen muss, zu denen auch Gesundheitsdaten der betroffenen versicherten Person gehören. Hieraus ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen dem berechtigten Aufklärungsinteresse des VR und den insoweit von dem Versicherungsnehmer bzw. der versicherten Person (im Folgenden immer als VN bezeichnet) zu beachtenden Obliegenheiten einerseits sowie dem Schutz von Grundrechten der betroffenen Person andererseits.
I. Vorgaben des BVerfG
Von ganz entscheidender Bedeutung zur Regelung dieses Spannungsverhältnisses ist die Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 23.10.2006, deren Vorgaben letztendlich sogar zur Schaffung der Normen des § 213 VVG geführt haben. Das BVerfG betont hierin, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des VN immer dann betroffen ist, wenn es um die Verwendung seiner persönlichen Daten geht, die für die Aufklärung eines Versicherungsfalls relevant sind. Problematisch wird ein solcher Eingriff, wenn der VN sich im Rahmen einer Schweigepflichtsentbindung der Möglichkeit begibt, die Wahrung seiner Geheimhaltungsinteressen selber zu kontrollieren, da diese Entbindung so weit gefasst ist, dass für ihn gar nicht absehbar ist, welche Auskünfte über ihn von welcher Person eingeholt werden können. Zwar wäre es auch für die Versicherung von besonderer Bedeutung, den Eintritt des Versicherungsfalls und alle weiteren Voraussetzungen einer Leistungspflicht im Detail überprüfen zu können. Das vorliegende Spannungsverhältnis müsste jedoch durch eine Abwägung der beiden Interessen gelöst werden.
Diese Vorgaben wurden dann mit der weiteren Entscheidung des BVerfG vom 17.7.2013 konkretisiert. Die betroffene Versicherung muss einerseits den Eintritt des Versicherungsfalls überprüfen können, andererseits muss aber auch die Ermittlung von personenbezogenen Daten auf das dafür Erforderliche begrenzt werden. Dabei wäre auch zu beachten, dass dem VR möglich ist, im Voraus alle Informationen zu beschreiben, auf die es für die Überprüfung ankommen kann. In diesem Zusammenhang könnte es sich – so das BVerfG – dann auch anbieten, dem VR erst einmal die Möglichkeit zu geben, einen entsprechenden Überblick zu erlangen, bevor weitere Informationen gefordert werden, die einen intensiveren Grundrechtseingriff darstellen. Zu beanstanden wäre es aus verfassungsrechtlicher Sicht jedenfalls, wenn den VN eine Obliegenheit trifft, eine umfassende Schweigepflichtsentbindungserklärung abzugeben, die es der Versicherung ermöglicht, ohne weitere Grenzen "sachdienliche Auskünfte" bei einem nicht näher konkret bestimmten Personenkreis einzuholen. Selbst wenn vorformulierte Einzelermächtigungen gegenüber unterschiedlichen Ärzten etc. für eine Entbindung von der Schweigepflicht verwendet werden, genügt diese Aufteilung in verschiedene Adressaten im Rahmen der gebotenen Abwägung nach Ansicht des BVerfG in der Regel noch nicht. Dies jedenfalls dann, wenn die abzufragenden Daten sich auf detaillierte Angaben zu der Gesundheit und den ärztlichen Behandlungen beziehen, sich aus der Ermächtigung aber überhaupt nicht erkennen lässt, welche konkreten Informationen zur Prüfung des Versicherungsfalls im Einzelnen abgefragt werden sollen. Eine bloße Einschränkung etwa auf "Gesundheitsverhältnisse, Arbeitsunfähigkeitszeiten oder Behandlungsdaten" ist insoweit aus Sicht des BVerfG viel zu allgemein gehalten. Vielmehr legt das BVerfG eine abgestufte Vorgehensweise mit einer ersten Anfrage des VR nahe, die auf wenige weitreichende Vorabinformationen zu beschränken ist, welche wiederum eine erste Einordnung ermöglichen. Auf dieser Basis könne der VR sodann feststellen, im welchen Bereich er noch weitere und detailliertere Informationen anfordert.
Abgefragte gesundheitsbezogene Informationen (also personenbezogene Daten) müssen so konkret wie möglich eingegrenzt und dabei der Grundsatz der Erforderlichkeit – notfalls in einem mehrstufigen Verfahren – beachtet werden.