BGB § 276
Leitsatz
1. Überquert ein Radfahrer Bahnschienen, hat er sich jedenfalls dann, wenn die Gleisanlage sich vom übrigen Straßenbelag deutlich abhebt und der Schienenverlauf gut sichtbar ist, auf die damit verbundene Gefahr, mit den Reifen in die Schienenspur zu geraten und die Lenkfähigkeit zu verlieren, einzustellen.
2. Dies gilt insb. im Bereich eines Industriedenkmals (hier: ehemaliges Zechengelände), wo auf die sich aus dem Charakter der Anlage ergebende Besonderheit, den Besuchern einen möglichst originalgetreuen Zustand nahezubringen, Bedacht genommen werden muss.
OLG Hamm, Beschl. v. 9.6.2016 – I-6 U 35/16
Sachverhalt
Eine Radfahrerin stürzte bei Befahren eines Radweges auf einem ehemaligen Industriegelände bei Überfahren einer Gleisanlage, weil die Reifen des Fahrrads in die Schienenspur gerieten und das Fahrrad seine Lenkfähigkeit verlor. Die auf eine von ihr angenommene Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gestützte Klage auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld wurde vom LG abgewiesen. Auf die Berufung der klagenden Radfahrerin teilte das BG mit, dass es beabsichtige, die Berufung durch Beschl. gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2 Aus den Gründen:
" … Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung; eine Entscheidung nach mündlicher Verhandlung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rspr. ist nicht erforderlich. Es sind auch sonst keine Gründe vorhanden, die die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung geboten erscheinen lassen."
Die Berufung verspricht offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, denn nach dem bisherigen Sach- und Streitstand steht der Kl. gegen die Bekl. kein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld aus dem streitgegenständlichen Unfall zu. Das LG ist aus zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung – auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird – davon ausgegangen, dass auf der Grundlage des klägerischen Sachvortrags eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Bekl. nicht festgestellt werden kann. Nach st. Rspr. des BGH, der sich der Senat anschließt, ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grds. verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vgl. BGH NJW 2007, 1683, 1684). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH NJW 2007, a.a.O.; NJW 2008, 3778, 3776). Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Schaden selbst tragen (BGH NJW 2007, a.a.O.).
Unter den vorliegenden Umständen ist nicht zu beanstanden, dass das LG von der zuletzt genannten Fallgestaltung, bei der die Geschädigte ihren Schaden selbst zu tragen hat, ausgegangen ist. Die hiergegen von der Kl. mit der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwendungen und Argumente führen zu keinem anderen Ergebnis.
a) Soweit die Kl. an ihrer Behauptung festhält, bei den nicht verfüllten Schienen im Gleisbereich der Kreuzung, auf welcher sie mit ihrem Fahrrad gestürzt ist, handele es sich um eine für sie nicht erkennbare Gefahrenquelle, kann dem nicht gefolgt werden.
Grds. darf ein Radfahrer auf Radwegen nicht mit einer ebenen schadlosen und von Hindernissen befreiten Fahrbahn rechnen. Er muss die gegebenen Verhältnisse vielmehr so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbieten und sein Fahrverhalten entsprechend anpassen. Mit typischen ...