Saarl. Verf. Art. 60 Abs. 1, 20 14 Abs. 3; StPO § 147; OWiG § 77
Leitsatz
Wenn ein für Geschwindigkeitsmessungen eingesetztes Messgerät die erhobenen Rohmessdaten nicht speichert und diese damit der Verteidigung nicht zur Überprüfung der Messung zur Verfügung stehen, liegt trotz der Einstufung des Messverfahrens als standardisiert eine verfassungswidrige Beschränkung des Grundrechts auf ein faires Verfahren sowie auf wirksame Verteidigung vor. Eine auf einer solchen Messung beruhende Entscheidung ist mangels Verwertbarkeit der Messdaten aufzuheben.
Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Urt. v. 5.7.2019 – Lv 7/17
Sachverhalt
Gegen den Betr. erging wegen fahrlässiger Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße i.H.v. 100 EUR. Bei der verwendeten Geschwindigkeitsmessanlage handelt es sich um das Modell Traffistar S 350 der Firma J. Der Verteidiger beantragte bei dem Landesverwaltungsamt die Herausgabe der Rohmessdaten des Messgerätes in unverschlüsselter Form und der gesamten Messserie des Tattages sowie eine Kopie der Lebensakte des verwendeten Messgerätes. Die Zentrale Bußgeldbehörde genehmigte die Herausgabe der konkreten Messdatei und der Lebensakte des Messgerätes und lehnte Akteneinsicht – ohne nähere Bezeichnung der Akten, die davon betroffen sein sollten – ab. Über den an das AG weitergeleiteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde nicht entschieden. Nach Einspruch stellte der Verteidiger in der Hauptverhandlung den Beweisantrag, ein Sachverständigengutachten zu der Behauptung einzuholen, dass bei dem hier zum Einsatz gekommenen Messgerät des Typs Traffistar S 350 die Möglichkeit ausgeschlossen sei, die Messung durch ein Sachverständigengutachten überprüfen zu lassen, so dass die Anerkennung als standardisiertes Messverfahren nicht mehr in Betracht komme. Das AG Saarbrücken lehnte den Antrag gem. § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ab, da die zum Beweis gestellte Behauptung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Das Saarländische OLG Saarbrücken wies den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil als unbegründet zurück.
Eine Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör, insb. des Gebots, erhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen, liege nicht vor. Sei ein Messgerät von der PTB zugelassen und werde es im Rahmen der Zulassungsvorgaben verwendet, seien weitere technische Prüfungen der konkreten Funktionsweise des Messgerätes entbehrlich. Nur wenn im Einzelfall konkrete Tatsachen dem Gericht gegenüber vorgetragen würden, die geeignet seien, Zweifel an der Richtigkeit des zur Verhandlung stehenden konkreten Messergebnisses zu wecken, könne das Tatgericht sich veranlasst sehen, diesen Zweifeln sachverständig nachzugehen. Die erhobene Anhörungsrüge hat das Saarländische OLG zurückgewiesen. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Betr., in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 60 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 SVerf verletzt zu sein, weil sein Beweisantrag übergangen worden sei. Das Gericht habe damit nicht zur Kenntnis genommen, dass die Annahme eines standardisierten Messverfahrens als solche nicht grds. angegriffen werde, sondern die Tatsache, dass durch die fehlende Speicherung von Messdaten dem Betr. die Möglichkeit genommen werde, die bestehenden hohen Anforderungen an einen Vortrag zu Messfehlern zu erfüllen.
Der Saarländische Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, dass der Beschluss des Saarländischen OLG und das Urteil des AG Saarbrücken den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten auf ein faires Verfahren aus Art. 60 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 SVerf und auf wirksame Verteidigung aus Art. 14 Abs. 3 SVerf verletzen und die Entscheidungen aufgehoben.
2 Aus den Gründen:
"… II. Der Verfassungsgerichtshof hat zunächst Auskünfte des Landesverwaltungsamtes und des Landesamtes für Umwelt und Arbeitsschutz zur Verwendung des Messgerätes Traffistar S 350, zu seiner Funktionsweise und zu etwaigen bisherigen Auffälligkeiten eingeholt. Während das Landesamt für Umwelt und Arbeitsschutz keine weiterführenden Hinweise erteilen konnte, hat das Landesverwaltungsamt im Wesentlichen mitgeteilt, es bestehe die Möglichkeit einer nachträglichen Plausibilitätskontrolle durch die messrechtlich vorgesehene Befundprüfung. Messdaten würden nach dem konkreten Messvorgang nicht vorgehalten. Auffälligkeiten seien nicht bekannt."
Der Verfassungsgerichtshof hat sodann eine Auskunft der Präsidentin des Saarländischen OLG sowie Auskünfte der PTB und der Fa. J. eingeholt. Die Präsidentin des Saarländischen OLG hat im Wesentlichen ausgeführt:
Die obergerichtliche Rechtsprechung gehe bislang davon aus, dass es sich bei der Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät Traffistar S 350 um ein standardisiertes Messverfahren handele. Es sei im Rahmen der Einlassung dem Betr. unbenommen, auf konkrete Anhaltspunkte für Messfehler aufmerksam zu machen und ggf. einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Damit stünden diese Entscheidungen im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH.
Diese Anhaltspunkte könnten sich im Einzelfall aus der ...