VVG § 125; ARB 1975/95 § 14 Abs. 3
Leitsatz
Auch im Passivprozess des Versicherungsnehmers einer Rechtsschutzversicherung ist bei der zeitlichen Festlegung des Rechtsschutzfalles (hier nach § 14 (3) ARB 1975/95) nur auf denjenigen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften abzustellen, den der Versicherungsnehmer seinem Gegner im Ausgangsrechtsstreit anlastet (Fortführung des Senatsurt. v. 30.4.2014 – IV ZR 47/13, BGHZ 201, 73, 77 Rn 15 ff.).
BGH, Urt. v. 3.7.2019 – IV ZR 111/18
Sachverhalt
Die Kl. begehrt von der Bekl. Rechtsschutz für die Abwehr einer Darlehensforderung aus einer bis zum 1.1.2015 gehaltenen Rechtsschutzversicherung.
Dem Versicherungsvertrag lagen die ARB 1975/95 des Versicherers zugrunde. Darin heißt es unter anderem:
"§ 14 Eintritt des Versicherungsfalles"
(3) In allen übrigen Fällen gilt der Versicherungsfall in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem der Versicherungsnehmer, der Gegner oder ein Dritter begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Bei mehreren Verstößen ist der erste adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei tatsächliche oder behauptete Verstöße, die länger als ein Jahr vor Beginn des Versicherungsvertrages für das betroffene Wagnis zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalles außer Betracht bleiben. Liegt der tatsächliche oder behauptete Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften innerhalb von drei Monaten nach Versicherungsbeginn oder löst eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor oder innerhalb von drei Monaten nach Versicherungsbeginn vorgenommen wird, den Versicherungsfall aus, besteht kein Versicherungsschutz …“
Im Jahre 2008 erhielt die Kl. ein zinsloses Darlehen über 35.000 EUR, auf das sie lediglich bis einschließlich März 2011 die vereinbarten monatlichen Raten i.H.v. 200 EUR leistete. Unstreitig bestand die Rechtsschutzversicherung der Kl. zu diesem Zeitpunkt. Nach dem Tod des Darlehensgebers erklärten dessen Erben im September 2015 die Kündigung des Darlehens wegen Zahlungsverzugs. Die Kl. verweigerte die Rückzahlung des nach Berechnung der Erben noch offenen Betrags von 25.500 EUR mit der Begründung, der Anspruch sei verjährt, der Darlehensgeber habe das Darlehen bereits im Jahre 2011 gekündigt.
2 Aus den Gründen:
"… [13] Das BG hat zu Recht angenommen, der Rechtsschutzfall sei nicht bereits durch die Einstellung der Zahlung von Darlehensraten durch die Kl. in versicherter Zeit, sondern erst nach Beendigung der Rechtsschutzversicherung mit der Geltendmachung des nach Auffassung der Kl. verjährten Rückzahlungsanspruchs durch die Erben des Darlehensgebers eingetreten."
[14] 1. Ob der Rechtsschutzfall in versicherter Zeit eingetreten ist, ist hier nach § 14 (3) ARB 1975/95 zu bestimmen.
[15] a) AVB sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (…).
[16] b) Unter Zugrundelegung dieses Auslegungsmaßstabes hat der Senat in jüngerer Zeit an seiner früheren Rspr. zur Auslegung des § 14 (3) ARB 75 (vgl. Senat VersR 1984, 530 unter I 3 […]) in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer Ansprüche gegen einen anderen erhob (sog. Aktivprozess-Fälle), aber auch in einem Fall, in dem sich der Versicherungsnehmer im Streit um Krankenversicherungsleistungen unter anderem gegen eine Aufrechnung seiner Anspruchsgegnerin mit Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung wehrte, nicht mehr festgehalten (vgl. dazu Senat r+s 2015, 193 […]).
[17] Er hat in mehreren Entscheidungen geklärt, wie der Rechtsschutzfall zu bestimmen ist und darauf gestützt die zeitliche Einordnung und Begrenzung des versprochenen Versicherungsschutzes erfolgt (vgl. dazu Senat r+s 2015, 193, Rn 12 ff., 14 ff.; BGHZ 201, 73, 77 Rn 15 ff. […]).
[18] Danach entnimmt der durchschnittliche Versicherungsnehmer zum einen dem Leistungsversprechen des Rechtsschutzversicherers, dass dieser es übernimmt, die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen zu unterstützen. Zum anderen erkennt der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass mit der Anknüpfung des § 14 (3) ARB 75 (hier ARB 1975/95) an die erste adäquate Ursache des Ausgangsstreits der Bedingungswortlaut die Gefahr einer uferlosen Rückverlagerung des für die zeitliche Bestimmung des Versicherungsfalles maßgeblichen Geschehens in sich birgt, welche in der Mehrzahl der Fälle seinen berechtigten Interessen widerspricht (vgl. dazu Senat r+s 2015, 16 Rn 19 m.w.N.). Deshalb kommt es für die Festlegung des Versicherungsfalles allein auf die Tatsachen ...