Ob Beilackierungskosten bei fiktiver Abrechnung erstattungsfähig sind, war lange streitig. Seitens der Versicherer wurde behauptet, dass Farbangleichungen rein optischen Zwecken dienen, mit der Beseitigung des Schadens selbst nichts zu tun hätten und dass erst bei tatsächlicher Reparatur feststellbar sei, ob die Beilackierung angrenzender Teile notwendig sei oder nicht.
Auch in weiten Teilen der Rechtsprechung wurde diese Ansicht vertreten (vgl. z.B. OLG Hamm, Urt. v. 28.3.2017 – 26 EU 72/16; LG Berlin, Urt. v. 23.8.2012 – 44 O 262/11; LG Köln, Urt. v. 10.5.2016 – 11 S 360/15).
Hiernach konnten bei fiktiver Abrechnung Beilackierungskosten nicht mehr geltend gemacht werden, da die Geltendmachung derselben eine tatsächliche Reparatur voraussetzt.
Die Gegenmeinung vertrat, dass es für die Erforderlichkeit der Kosten im schadensrechtlichen Sinne genüge, dass eine optisch einwandfreie Reparatur mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne eine Farbtonangleichung nicht gelingen werde und dass, falls ein Sachverständiger die Beilackierung als notwendig angesehen habe, die Kosten zum fiktiv erstattungsfähigen Schadensersatz gehören (vgl. z.B. OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.6.2014 – 4 U 41/13; LG Hamburg, Urt. v. 25.3.2014 – 323 S 78/13; LG Frankfurt a.M., Urt. v. 27.9.2012 – 2/23 O 99/12).
Der BGH hat in zwei Entscheidungen v. 17.9.2019 – VI ZR 396/18 und VI ZR 494/18 der Argumentation der Versicherungswirtschaft und der dieser Argumentation folgenden Gerichte eine klare Absage erteilt.
Bei fiktiver Abrechnung sei der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu den tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Diesen Betrag habe das Gericht gem. § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu ermitteln. Dabei sei zu prüfen, ob ein Schaden überwiegend wahrscheinlich sei.
Insb. hat der BGH festgehalten, dass es nicht zutreffe, dass eine Beilackierung mit der Beseitigung des Unfallschadens nichts zu tun habe. Ist eine Beilackierung zur Wiederherstellung des ursprünglichen Fahrzeugzustands erforderlich, ist sie genauso Teil der Beseitigung des Schadens wie etwa der Ersatz eines beschädigten Fahrzeugteils.
Der Anspruch auf Erstattung der Beilackierungskosten im Rahmen der fiktiven Abrechnung könne auch nicht ohne Prüfung des Einzelfalls mit dem Argument abgewiesen werden, dass sich die Notwendigkeit einer Beilackierung erst nach durchgeführter Reparatur sicher beurteilen lasse.
Der BGH hat insoweit ausdrücklich ausgeführt, dass auch bei fiktiver Abrechnung eine Erstattung von Beilackierungskosten dann zu erfolgen habe, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass diese auch bei einer Reparatur anfallen würden.
Ein starkes Indiz hierfür ist zunächst das Vorliegen eines Sachverständigengutachtens, welches entsprechende Beilackierungskosten für notwendig erachtet.
Wird dann die Erforderlichkeit der Beilackierungskosten weiterhin von der Versicherung bestritten, muss das Gericht im Rahmen eines Prozesses zur fiktiven Erforderlichkeit Beweis erheben.
Im Rahmen der Beweiswürdigung kommt dann allerdings das geringere Beweismaß des § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO zum Tragen. Insoweit ist auch eine Verurteilung des Schädigers zur Übernahme von Beilackierungskosten im Rahmen fiktiver Schadensabrechnung trotz verbliebener Zweifel an einer Erforderlichkeit möglich.
Die immer noch in Abrechnungsschreiben von Versicherungen enthaltene pauschale Ablehnung ist insoweit nicht mehr zulässig.