VVG §§ 172, 174; BUZ § 7 Abs. 3
Leitsatz
Die Einstellungsmitteilung eines Berufsunfähigkeitsversicherers kann schon aus formalen Gründen unwirksam sein, wenn sie im Rahmen der gebotenen Vergleichsbetrachtung nicht auf die in gesunden Tagen ausgeübte Berufstätigkeit abstellt, sondern auf die nach Abschluss einer im konkreten Fall unzulässigen Kulanzvereinbarung und bis zur Abgabe des späteren Anerkenntnisses neu aufgenommene Tätigkeit.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 20.5.2020 – 5 U 30/19
Sachverhalt
Der Kl, ein promovierter Wirtschaftsingenieur, unterhielt bei der Bekl seit 2000 eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Während einer Tätigkeit für die Weltbank erlebte er im Mai 2008 in Asien ein Erdbeben, in dessen Folge er aus psychischen Gründen berufsunfähig erkrankte. Nach Anmeldung von Rentenansprüchen schloss die Bekl. mit ihm 2008 eine außervertragliche Vereinbarung, die aus Kulanzgründen und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente bis Mai 2009 vorsah. Nach dem Mai 2009 führte der Kl verschiedene andere führende Tätigkeiten für die GTZ und andere Unternehmungen – darunter die laotische Handelskammer – aus und beantragte im Mai 2012 Fortzahlung der Rentenleistungen wegen psychischer Erkrankungen. Die Bekl anerkannte daraufhin unter dem 11.12.2012 ihre Leistungspflicht. Im Jahr 2015 leitete sie ein Nachprüfungsverfahren ein und stellte aufgrund eines Sachverständigenverfahrens, das eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund des Erdbebens für nicht mehr nachweisbar erachtete, ihre Leistungen ein.
2 Aus den Gründen:
"… Die Bekl. ist über den 1.12.2015 hinaus verpflichtet, dem Kl. Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu gewähren. Die Leistungseinstellung scheitert schon unter dem Gesichtspunkt einer formal unzureichenden Einstellungsmitteilung. (…)"
2. Das LG hat die Klage weitestgehend zu Unrecht abgewiesen.
Der Anspruch des Kl. auf Beitragsbefreiung und Rente ist nicht erloschen (§ 1 Abs. 4 BBUZ). Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Annahme, der Grad der im Jahr 2012 anerkannten Berufsunfähigkeit habe sich zwischen jenem Zeitpunkt und dem Versicherungsvierteljahr vor dem 1.12.2015 auf unter 50 % vermindert und die Bekl. habe solches dem Kl. ordnungsgemäß mitgeteilt, trifft nicht zu (§ 7 Abs. 3 BBUZ).
Hat der VR seine Leistungspflicht wegen Berufsunfähigkeit des VN erst einmal anerkannt, so kann er deren späteren Wegfall nur im Wege des Nachprüfungsverfahrens nach § 7 Abs. 1 S. 1 BBUZ i.V.m der Anl. 1 zum Versicherungsschein geltend machen. Unerlässlicher Bestandteil dieses Verfahrens ist es, dass dem VN das Ende der Leistungspflicht förmlich mitgeteilt wird (§ 7 Abs. 3 S. 2 BBUZ). Erst die zugegangene Mitteilung kann – nach einer Schutzfrist (§ 7 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BBUZ) – die Leistungspflicht entfallen lassen (vgl. BGH VersR 2019, 1134). Unterbleibt die Einstellungsmitteilung oder ist sie rechtsunwirksam, so besteht die anerkannte Leistungspflicht auch dann fort, wenn sich die maßgeblichen Umstände derart geändert haben, dass sie den VR zur Leistungseinstellung berechtigt hätten (BGH VersR 1993, 559).
Das Schreiben der Bekl. v. 22.9.2015 wird den formalen Anforderungen an eine wirksame Einstellungsmitteilung nicht gerecht.
a. Wirksam ist eine Einstellungsmitteilung nur dann, wenn darin nachvollziehbar begründet wird, warum die vormals anerkannte Leistungspflicht wieder enden soll. Dies setzt nach st. Rspr. voraus, dass der VR den Zustand, der seinem Anerkenntnis zugrunde lag, mit dem für das Abänderungsverlangen maßgeblichen Zustand vergleicht und aufzeigt, aufgrund welcher Veränderungen er eine Einstellung der Leistungen für gerechtfertigt hält. Stützt der VR die Leistungseinstellung auf eine zwischenzeitliche Verbesserung des Gesundheitszustands des Versicherten, so muss er die gebotene Vergleichsbetrachtung an den geänderten gesundheitlichen Verhältnissen ausrichten. Darüber hinaus hat er die aus den medizinischen Erkenntnissen gezogenen berufsbezogenen Schlussfolgerungen vergleichend darzulegen (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl. 2020, Kap. 14, Rn 114; BGH VersR 1999, 958; …).
Die Anforderungen an die Begründung der Einstellungsentscheidung sind hoch. Denn es ist der VN, der sich mit einer Klage gegen die durch eine Mitteilung ausgelösten Rechtsfolgen zur Wehr setzen muss. Dazu benötigt er nachvollziehbare Informationen, anhand deren er sein Prozessrisiko sachgerecht abschätzen kann (vgl. BGH VersR 2000, 171; …).
b. Im Streitfall ist die Einstellungsmitteilung schon deshalb fehlerhaft, weil die Bekl. im Nachprüfungsverfahren die bis Mai 2008 ausgeübte Managertätigkeit des Kl. bei der Weltbank hätte in den Blick nehmen müssen, nicht den Beruf als Berater der Handelskammer Laos, dessen Anforderungs- und Tätigkeitsprofil ein anderes gewesen ist.
(1) Nach den hier maßgeblichen Vertragsbedingungen ist der Begriff der Berufsunfähigkeit bei der Nachprüfung im selben Sinne zu verstehen wie bei der Erstprüfung. Für beide Konstellationen ist an die letzte Berufsausübung des Ve...