BGB § 849
Leitsatz
Selbst bei bestehendem deliktischen Anspruch kommt im Falle der Manipulation der Steuerungssoftware des Motors EA 189 ein Anspruch auf Deliktszinsen gem. § 849 BGB gegen den Fahrzeughersteller nicht in Betracht, wenn nicht ein Minderwert des Fahrzeugs bei Erwerb konkret dargelegt wird.
OLG Frankfurt, Urt. v. 27.11.2019 – 17 U 290/18
Sachverhalt
Der Kl. erwarb von einem Vertragshändler einen Gebrauchtwagen, dessen Dieselmotor von der VW AG entwickelt worden war und eine bei der Erteilung der Betriebsgenehmigung eingesetzte Manipulationssoftware aufwies.
Das Kraftfahrtbundesamt ordnete den Rückruf der Pkw mit der Manipulationssoftware durch Aufspielen eines von der Herstellerin des Motors entwickelten Software-Update zur Beseitigung der verbotenen Abschalteinrichtung an. Der Kl. macht die Verurteilung der Herstellerin des Dieselmotors zur Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Kfz an die Herstellerin sowie zur Zahlung von Deliktszinsen ab dem Zeitpunkt des Kaufabschlusses geltend. Zur Begründung führt der Kl. aus, er hätte den Pkw nicht gekauft, wenn er Kentnis von der Manipulationssoftware gehabt hätte. Die Bekl. wendet ein, das überlassene Fahrzeug sei ohne Einschränkung gebrauchstauglich gewesen, sodass ein Anspruch auf Deliktszinsen nicht begründet sei.
Das LG wies den Antrag auf Zubilligung von Deliktszinsen ab. Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"… Der Kl. hat vorliegend keinen Anspruch gem. § 849 BGB auf Verzinsung des Kaufpreises i.H.v. 16.955 EUR mit 4 % (§ 246 BGB) ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 29.5.2013 und der damit einhergehenden Zahlung des Kaufpreises, weil er sich den Wert des ihm nach der vertraglichen Absprache überlassenen Fahrzeuges und damit die Gegenleistung auf den gezahlten Kaufpreis anrechnen lassen muss."
Nach § 849 BGB kann der Verletzte für den Fall, dass wegen einer Entziehung der Sache der Wert oder wegen der Beschädigung der Sache die Minderung des Wertes zu ersetzen ist, Zinsen des zu ersetzenden Betrages von dem Zeitpunkt an verlangen, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird.
Hierdurch soll dem Verletzten ein Mindestbetrag an Kompensation für die erlittene Einbuße an Nutzungsmöglichkeit gewährt werden. Der letztlich endgültig verbleibende Verlust an Nutzbarkeit der Sache, der durch einen späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht mehr nachgeholt werden kann, soll so ausgeglichen werden. Dem Verletzten wird über die Verzinsung eine Beweiserleichterung eröffnet. Es bedarf hier (noch) nicht der konkreten Bezifferung und des Nachweises eines Nutzungsausfallschadens. Der Zinsanspruch gem. § 849 BGB ist als pauschalierter Ersatz für den Verlust oder die Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit zu verstehen (vgl. BGH, Urt. v. 24.2.1983 – VI ZR 191/81, BeckRS 9998, 102054), wobei es ausreicht, dass ihm die Sache – worunter normspezifisch und losgelöst von § 90 BGB jede Art von Geld fällt – durch eine unerlaubte Handlung entzogen wird, und sei es mit seinem Willen (vgl. BGH, Versäumnisurt. v. 26.11.2007 – II ZR 167/06, Rn 4–6, BeckRS 2008, 02103).
Aus § 849 BGB lässt sich freilich kein allgemeiner Grundsatz entnehmen, wonach alle Ansprüche aus einer unerlaubten Handlung stets und unabhängig vom Vorliegen des Verzuges vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an zu verzinsen sind. Bereits dem Wortsinn des § 849 BGB ist zu entnehmen, dass im Falle der Entziehung (nur) der als Wertersatz geschuldete Betrag zu ersetzen ist (vgl. BGH, Urt. v. 15.3.1962 – III ZR 17/61, Ziff. II. 1, 2, BeckRS 1962, 31183446).
Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm im adäquat-kausalen Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Hierüber soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen bewirkt werden. Der Geschädigte darf nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Die Anrechnung muss dabei dem Zweck des Ersatzanspruchs entsprechen, sie muss dem Geschädigten zumutbar sein und darf den Schädiger nicht unangemessen entlasten (vgl. BGH, Urt. v. 6.8.2019 – X ZR 165/18 – Rn 9, juris, hier wegen der Anrechnung von Zahlungen nach der Fluggastrechteverordnung auf vertragliche Schadensersatzansprüche, m.w.N.). Die Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtung gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein (vgl. BGH, Urt. v. 16.1.1990 – VI ZR 170/89, Rn 10, juris). Sie unterliegen einer Gesamtsaldierung (vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2018 – III ZR 497/16, Rn 28, juris, dort wegen der Rückabwicklung von zwei auf einem Beratungsgespräch beruhender Anlagen).
Soweit der BGH vereinzelt eine Verzinsung der Gesamtsumme der von dem Anspruchssteller hingegebenen Geldsumme angenommen hat, kam eine Gesamtsaldierung nicht in Betracht, weil die vereinbarte Gegenleistung nicht werthaltig war (ebenso KG, Urt. v. 26.9.2019 – 4 U 51/19, Rn 152 ff., wobei schon der “Sachentzug' mittels der Kaufpreiszahlung verneint wird [Rn ...