SGB X § 116 Abs. 1 Satz 1
Leitsatz
Der Wortlaut des § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X setzt lediglich eine Leistungspflicht voraus. Geht es um die Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers, knüpft diese regelmäßig an ein Sozialversicherungsverhältnis an. Für den Forderungsübergang ist es nach dem Wortlaut sowie nach Sinn und Zweck des § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X unerheblich, ob der Geschädigte an diesem beteiligt oder durch die Leistungspflicht nur begünstigt ist.
BGH, Urt. v. 19.1.2021 – VI ZR 125/20
Sachverhalt
Dem Verfahren liegt die Klage einer Haftpflichtversicherung gegen einen Rentenversicherungsträger aus ungerechtfertigter Bereicherung zugrunde.
Der Versicherungsnehmer der Klägerin verletzte bei einem Verkehrsunfall im Juli 2016 die damals 14 Jahre alte Schülerin L. (im Folgenden: Geschädigte) schwer. Die Beklagte erbrachte auf Antrag des bei ihr versicherten Vaters der Geschädigten für die nicht rentenversicherten Geschädigten Leistungen für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme (sog. Kinderheilbehandlung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI i.d.F. vom 17.7.2015). Sie forderte die Klägerin unter Berufung auf § 116 Abs. 1 SGB X auf, die Behandlungskosten in Höhe von 3.300 EUR zu erstatten. Die Klägerin kam dem unter Vorbehalt der Rückforderung nach. Mit der Klage hat sie Rückzahlung der 3.300 EUR nebst Zinsen mit der Begründung verlangt, dass ein Forderungsübergang gemäß § 116 Abs. 1 SGB X nicht stattgefunden habe, weil die Geschädigte nicht rentenversichert sei.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ergibt sich aus dem Senatsurteil vom 24.4.2012 – VI ZR 329/10 (VersR 2012, 924), dass ein Anspruchsübergang auf einen Sozialversicherungsträger das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses zur Voraussetzung hat. Diese Voraussetzung entfalle nicht dadurch, dass Leistungen für den Geschädigten ernsthaft in Betracht zu ziehen oder tatsächlich erbracht worden seien. Ansprüche des Vaters der Geschädigten aus der Rentenversicherung seien kein verbindendes Element für den Forderungsübergang auf die Beklagte. Der Anspruchsübergang werde durch das Entstehen eines Sozialleistungsanspruchs bewirkt, nicht durch das Erbringen von Leistungen an den Geschädigten. Dafür spreche auch die Bestimmung des § 86 VVG, die (anders als § 116 Abs. 1 SGB X) darauf abstelle, ob Leistungen tatsächlich erbracht worden seien.
II. Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dem Übergang der Forderung der Geschädigten auf die Beklagte gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X steht nicht entgegen, dass es an einem Sozialversicherungsverhältnis zwischen ihr und der Geschädigten fehlt. Hierauf lässt sich ein Bereicherungsanspruch der Klägerin nicht stützen.
1. Gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X geht ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz eines Schadens auf den Versicherungsträger über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen (sachliche Kongruenz) und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen (zeitliche Kongruenz). Dabei knüpft der Forderungsübergang, wie vom Berufungsgericht zutreffend gesehen, an die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers an ("zu erbringen hat"), nicht an tatsächlich erbrachte Leistungen (vgl. Senatsurteil vom 8.7.2003 – VI ZR 274/02, BGHZ 155, 342, 347 ff., juris Rn 15 ff.; Waltermann in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 6. Aufl., § 116 SGB X Rn 28, 56; Kater in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand September 2020, § 116 SGB X Rn 27).
2. Für die Revisionsinstanz ist mangels diesbezüglicher Feststellungen des Berufungsgerichts zu unterstellen, dass der Geschädigten aufgrund des Verkehrsunfalls Schadensersatzansprüche gegen die Klägerin entstanden sind (§ 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG), dass die stationäre Rehabilitationsmaßnahme auf die unfallbedingten Verletzungen der Geschädigten zurückzuführen ist und dass die Beklagte auf Antrag des bei ihr rentenversicherten Vaters der Geschädigten dieser die Leistungen für die Maßnahme gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI a.F. zu erbringen hatte. Dies vorausgesetzt ist die von der Beklagten aufgrund des Unfalls zu erbringende (und bereits erbrachte) Sozialleistung mit dem Anspruch der Geschädigten gegen die Klägerin auf Ersatz ihrer Heilbehandlungskosten sachlich und zeitlich kongruent.
3. Vorliegend knüpft die Pflicht der Beklagten zur Leistung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI a.F. an das Sozialversicherungsverhältnis zwischen ihr und dem Vater der Geschädigten an, wobei die Geschädigte Leistungsbegünstigte ist. Dass das Sozialversicherungsverhältnis nicht zwischen der Beklagten und der Geschädigten besteht und dass – damit zusammenhängend – die Geschädigte möglicherweise nicht formal...