OWiG § 77 Abs. 2 Nr. 1, StVO § 23 Abs. 1a S. 1
Leitsatz
1. Ein Beweisantrag kann regelmäßig nicht nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt werden, wenn durch das Beweismittel die Zeugenaussage des einzigen Belastungszeugen entkräftet werden soll.
2. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass sich nach Abwägung des im Einzelfall gewonnenen Beweisergebnisses und der beantragten Beweiserhebung unter Berücksichtigung der Verlässlichkeit des Beweismittels ergibt, dass es unwahrscheinlich oder nicht damit zu rechnen ist, dass das benannte Beweismittel die behauptete Tatsache erweisen kann.
3. Liegen ersichtlich keine Ausnahmeumstände vor, welche die Ablehnung eines solchen Beweisantrags rechtfertigen, stellt die rechtsfehlerhafte Ablehnung des Beweisantrags zugleich eine Verletzung rechtlichen Gehörs dar.
4. Ein elektronischer Fahrzeugschlüssel mit Display (SmartKey) stellt ein elektronisches Gerät im Sinne von § 23 Abs. 1a StVO dar.
OLG Hamm, Beschl. v. 11.5.2021 – 5 RBs 94/21
Sachverhalt
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen verbotswidriger Benutzung eines elektronischen Gerätes, das der Kommunikation, Organisation oder Information dient oder zu dienen bestimmt ist, zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, rügt der Betroffene Insbesondere, dass das Amtsgericht die von ihm gestellten Beweisanträge zu seinen Behauptungen abgelehnt habe, dass er statt eines Mobiltelefons lediglich einen kurzen Augenblick einen elektronischen Fahrzeugschlüssel (sogenannter SmartKey) in den Händen gehalten und bedient habe. Das OLG Hamm hat die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zugelassen, die Sache auf den Bußgeldsenat übertragen, den Schuldspruch des angefochtenen Urteils klarstellend dahingehend berichtigt, dass der Betroffene der vorsätzlichen verbotswidrigen Benutzung eines elektronischen Geräts schuldig ist und im Übrigen die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die Rechtsbeschwerde war gem. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen der Versagung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) zuzulassen.
1) Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist zulässig erhoben; sie genügt insbesondere den Formerfordernissen der §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
2) Das Amtsgericht hat ferner den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör insofern verkürzt, als es dessen Beweisanträge zu 1) sowie 2 a) und b) – Vernehmung der Beifahrerin des Betroffenen und Einholung von Sachverständigengutachten zu den Beweisbehauptungen lediglich einen elektronischen Fahrzeugschlüssel (SmartKey) in der Hand gehalten (Beweisantrag zu 1) und diesen nur kurz in Blick genommen zu haben (Beweisanträge 2 a) und b)) – abgelehnt hat. Die Ablehnung des weiteren, in der Hauptverhandlung am 22.11.2020 gestellten Beweisantrags – Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, ob für den als Zeugen vernommenen Polizeibeamten aus seiner Beobachtungsposition der Unterschied zwischen einem Mobiltelefon und einem elektronischen Fahrzeugschlüssel (SmartKey) erkennbar war – erfolgte hingegen nicht in gehörsverletzender Weise.
a) Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet, dass Beweisanträge, auf die es für die Entscheidung ankommt, vom Gericht berücksichtigt werden müssen, sofern nicht Gründe des Prozessrechts es gestatten oder dazu zwingen, sie unbeachtet zu lassen (BVerfG NJW 1996, 2785, 2786; OLG Hamm, Beschl. v. 2.7.2002 – 3 Ss OWi 159/02). Eine bloße prozessordnungswidrige Behandlung von Beweisanträgen stellt hierbei allerdings noch keine Verweigerung rechtlichen Gehörs dar (OLG Köln, Beschl. v. 11.12.2020 – III-1 RBs 337/20). Erforderlich ist nach ständiger Rechtsprechung vielmehr, dass der Beweisantrag ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung abgelehnt wird und die Ablehnung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811; OLG Hamm, Beschl. v. 2.7.2002 – 3 Ss OWi 159/02; OLG Hamm, Beschl. v. 10.3.1999 – 4 Ss OWi 634/99; OLG Köln, Beschl. v. 11.12.2020 – III-1 RBs 337/20; BayObLG, Beschl. v. 4.12.2020 – 201 ObOWi 1471/20; KG, Beschl. v. 22.9.2020 – 3 Ws (B) 182/20).
b) Dies ist vorliegend in Bezug auf die Ablehnung der Beweisanträge zu 1), 2 a) und b) der Fall. Das Amtsgericht hat die Ablehnung der vorbezeichneten Beweisanträge darauf gestützt, dass die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei, weil bereits das Gegenteil (der Beweisbehauptung) aufgrund der glaubhaften Aussage des Polizeibeamten R feststehe. Diese Begründungen finden im Gesetz indes ersichtlich keine Stütze und sind damit offensichtlich unzutreffend.
Nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann das Gericht einen Beweisantrag ablehnen, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ein weiterer Aufklärungswert kann der Aussage indes regelmäßig nicht abgesprochen werden, wenn diese – wie hier – der Entkräftung des b...