Anspruch auf Ersatz des "Minderwerts" bei Kauf eines VW-Diesels mit Prüfstanderkennungssoftware (Urt. v. 6.7.2021 – VI ZR 40/20)
Der u.a. für das Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Zivilsenat hat mit am 12.8.2021 veröffentlichten Urt. v. 6.7.2021 entschieden, dass dem Käufer eines Pkw VW mit Dieselmotor, der mit einer Prüfstanderkennungssoftware ausgestattet ist, gegen den Fahrzeughersteller anstelle des großen Schadensersatzanspruchs (Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsvorteile Zug um Zug gegen Übertragung des Fahrzeugs) ein sog. kleiner Schadensersatzanspruch (Anspruch auf Ersatz des "Minderwerts") zustehen kann, wenn er das Fahrzeug behalten möchte. Der Käufer kann dann den Betrag ersetzt verlangen, um den er das Fahrzeug – gemessen an dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung – zu teuer erworben hat. Für die Bemessung dieses kleinen Schadensersatzes ist zunächst der Vergleich der Werte von Leistung (Fahrzeug) und Gegenleistung (Kaufpreis) im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich. Sollte allerdings das Software-Update der Beklagten, das gerade der Beseitigung der unzulässigen Prüfstanderkennungssoftware diente, das Fahrzeug aufgewertet haben, ist dies im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen. Dabei sind in die Bewertung des Vorteils etwaige mit dem Software-Update verbundene Nachteile einzubeziehen. In den so zu bemessenden Schaden (Minderwert) sind Nachteile, die mit der Prüfstanderkennungssoftware oder dem Software-Update (als etwaiger Vorteil) verbunden sind, bereits "eingepreist". Für die Feststellung der Ersatzpflicht für diesbezügliche weitere Schäden ist daher kein Raum.
Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 154/2021 v. 12.8.2021
Schadenersatz nach Weiterverkauf des Fahrzeugs (Urt. v. 20.7.2021 – VI ZR 533/20)
Mit Urt. v. 20.7.2021 (Az.: VI ZR 533/20) hat der BGH entschieden, dass im Falle einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung durch das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstanderkennung der dem Käufer entstandene Schaden durch den Weiterverkauf des Fahrzeugs nicht entfällt. Durch den Weiterverkauf trete der marktgerechte Verkaufserlös an die Stelle des im Wege der Vorteilsausgleichung herauszugebenden und zu übereignenden Fahrzeugs und sei vom Schadensersatzanspruch abzuziehen. Eine "Wechselprämie" für den Wechsel des Autos oder der Automarke sei jedoch von dem Schadensersatzanspruch nicht abzuziehen, da sie nichts mit Substanz- oder Nutzungswert des in Zahlung gegebenen Fahrzeugs zu tun habe.
Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 137/2021 v. 20.7.2021
Grenzen der Ersatzlieferung (Urt. v. 21.7.2021 – VIII ZR 118/20 u.a.)
Der BGH hat mit Urteilen v. 21.7.2021 (Az.: VIII ZR 254/20, VIII ZR 118/20, VIII ZR 275/19 u. VIII ZR 357/20) ferner entschieden, dass im Verbrauchsgüterkauf der Käufer eines (hier jeweils aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung) mangelhaften Neufahrzeugs im Rahmen seiner Gewährleistungsrechte zwar grundsätzlich auch die Ersatzlieferung eines zwischenzeitlich hergestellten Nachfolgemodells verlangen kann, dies aber nur für den Fall gilt, dass er einen entsprechenden Anspruch innerhalb von zwei Jahren ab Vertragsschluss gegenüber seinem Verkäufer geltend macht.
Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 140/2021 v. 21.7.2021
Verjährung des Anspruchs (Urt. v. 29.7.2021 – VI ZR 1118/20)
Mit Urt. v. 29.7.2021 (Az.: VI ZR 1118/20) hat der BGH zudem weitere Verjährungsfragen im Zusammenhang mit dem sog. "VW-Abgasskandal" geklärt. Der Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist im Jahr 2015 wegen der grob fahrlässigen Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB setze voraus, dass der Kläger allgemein von sog. Dieselskandal Kenntnis erlangt habe. Die Hemmung der Verjährung durch die Anmeldung des entsprechenden klägerischen Anspruchs zum Klageregister der Musterfeststellungsklage trete nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruchs grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage ein und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zu deren Register, auch wenn die Anspruchsanmeldung selbst erst im Jahr 2019 und damit nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt ist. Es ist dem Kläger auch nicht allein nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf diesen Hemmungstatbestand zu berufen, weil er seinen Anspruch ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung zum Klageregister angemeldet hat.
Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 150/2021 v. 29.7.2021
Autor: Karsten Funke
Karsten Funke, Richter am Landgericht, München
zfs 9/2021, S. 482