OWiG § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 § 46 Abs. 1; StPO § 152 Abs. 2
Leitsatz
Nur evidente und unerträglich schwerwiegende Mängel einer Unterbrechungshandlung hindern deren verjährungsunterbrechende Wirkung. Daher muss sich die Bejahung eines Anfangsverdachts bei einer nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG getroffenen Anordnung als schlechthin unvertretbar und nicht mehr verständlich darstellen, damit die Unterbrechungswirkung entfällt.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.1.2022 – IV-2 RBs 221/21
Sachverhalt
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 460 EUR verurteilt. Hiergegen richtet sich dessen auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde, mit welcher er insbesondere geltend macht, dass bereits im behördlichen Verfahren Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Das OLG Düsseldorf hat die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Beschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 u. 3 StPO).
Der Erörterung bedarf lediglich, ob die dreimonatige Verfolgungsverjährung (Tatzeit: 18.1.2019) durch die am 17.4.2019 getroffene Anordnung der Sachbearbeiterin der Bußgeldbehörde, den Betroffenen als beschuldigten Fahrzeugführer zu dem Tatvorwurf schriftlich anzuhören, unter Berücksichtigung der damaligen Verdachtslage gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG unterbrochen worden ist. Dies ist zu bejahen, so dass der Einwand des Betroffenen, es sei Verfolgungsverjährung eingetreten, nicht durchgreift.
Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen eine bestimmte Person ist ein Anfangsverdacht erforderlich, d.h. es müssen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Betroffene die ihm zur Last gelegte Tat begangen hat (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 152 Abs. 2 StPO). Die gesetzliche Umschreibung des Anfangsverdachts ("zureichende tatsächliche Anhaltspunkte") ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung auf den Einzelfall auch subjektive Wertungen der Ermittlungsperson einfließen können. Der Ermittlungsbehörde ist daher bei der Prüfung des Anfangsverdachts ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen (vgl. BGH NStZ 1988, 510, 511; Peters in: MüKo StPO, 1. Aufl. 2016, § 152 Rn 49; zu § 100a StPO: BGH NJW 1995, 1974, 1975). Insofern ist die gerichtliche Nachprüfung von vornherein auf den Maßstab der Vertretbarkeit beschränkt.
Diese Einschränkung gilt erst recht für die Beurteilung, ob die Verfolgungsverjährung vorliegend durch die Anordnung vom 17.4.2019 unter Berücksichtigung der damaligen Verdachtslage gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG unterbrochen worden ist. Denn nur evidente und unerträglich schwerwiegende Mängel einer Unterbrechungshandlung hindern deren verjährungsunterbrechende Wirkung (vgl. BGH NJW 1981, 133; Gertler in: BeckOK OWiG, § 33 Rn 167). Die Anordnung vom 17.4.2019 müsste sich als schlechthin unvertretbar und nicht mehr verständlich darstellen, damit ihre Wirksamkeit entfiele. Davon kann indes keine Rede sein. Es war bei der damaligen Verdachtslage jedenfalls vertretbar, einen Anfangsverdacht zu bejahen und das Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen einzuleiten.
Da das Rechtsbeschwerdegericht das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung auf die zulässige Rechtsbeschwerde von Amts wegen zu prüfen hat, kann es für die Beurteilung auf den gesamten Akteninhalt zurückgreifen (vgl. BGH NStZ 2018, 45; OLG Brandenburg BeckRS 2011, 16790),
Das Messfoto zeigte als Fahrer eine männliche Person mittleren Alters. Die Halterin des Fahrzeugs reagierte auf den zweimal übermittelten Zeugenanhörungsbogen nicht. Unter ihrer Wohnanschrift in D. konnte kein Lebenspartner identifiziert werden. Im Melderegister wurde die Halterin mit dem Familienstand ledig geführt. Mit E-Mail vom 16.4.2019, 14.31 Uhr, hat die Sachbearbeiterin der Bußgeldbehörde bei der Bußgeldstelle der Stadt D. unter Hinweis auf die Eilbedürftigkeit um Auskunft gebeten, "ob ggf. aus dortigen Verfahren Erkenntnisse über andere Nutzer/innen" des Fahrzeugs vorliegen. Diese Anfrage wurde mit E-Mail vom 16.4.2019, 15.40 Uhr, dahingehend beantwortet, dass zu dem Fahrzeug bei der Bußgeldstelle der Stadt D. nur Parkverstöße bearbeitet wurden. Dazu heißt es weiter: "Einzahler der Verwarngelder war teilweise ein Herr …" (es folgen Name, Anschrift und Geburtsdatum des Betroffenen).
Am 17.4.2019, 06.59 Uhr, hat die Sachbearbeiterin der Bußgeldbehörde das an den Betroffenen gerichtete Anhörungsschreiben unter ihrem Namen im EDV-System erstellt und die Versendung an dessen vorgenannte Anschrift veranlasst. In dem Anhörungsschreiben wurde dem Betroffenen die Tat als Fahrzeugführer unter Bezeichnung von Zeitpunkt, Tatort und Kfz-Kennzeichen konkret zur Last gelegt.
Das Anhörungsschreiben war geeignet, den Betroffenen zu erreichen. Es ist nicht in Rücklauf gelangt. Unter derselben Anschrift wurde dem Betroffenen am 17.7.2019 der Bußgeldbescheid zugestellt. Bere...