VVG § 203 Abs. 5
Leitsatz
1. Allgemein gehaltene Erläuterungen über die Notwendigkeit von Beitragsüberprüfungen mit Blick auf kalkulierte und künftig erforderliche Leistungsausgaben und über weitere Faktoren der Beeinflussung von Schadenbedarfen erfüllen die Anforderungen an die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für eine Beitragsanpassung in einem bestimmten Tarif nicht.
2. Im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung einer unwirksamen Prämienerhöhung ist weder ein genossener Versicherungsschutz zu berücksichtigen noch der Umstand, dass der VR die Erhöhungsbeiträge für Rückstellungen verwendet hat.
3. Die Kenntnis vom Fehlen eines Rechtsgrunds erlangt ein VN durch den Erhalt einer seines Erachtens unzureichenden Erhöhungsmitteilung.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 30.3.2022 – IV ZR 138/20
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung der Kl. Die Kl. ist bei der Bekl. krankenversichert; bis zum 30.4.2016 bestand Versicherungsschutz im Tarif Vi. Die Bekl. informierte sie mit Schreiben aus dem November des Vorjahres über Prämienerhöhungen im Tarif Vi. zum 1.1.2016 um 90,52 EUR monatlich.
Dem Anschreiben waren "Informationen zur Beitragsanpassung zum 1.1.2016" beigefügt, in denen es unter "Was sind die Gründe für die Beitragsanpassung in der Kranken-, Krankentagegeld- und Pflegeergänzungsversicherung?" auszugsweise hieß:
Zitat
…
Bei der Überprüfung vergleichen wir die kalkulierten Leistungsausgaben mit den zukünftig erforderlichen. Weichen die Zahlen um den in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen festgelegten Prozentsatz nach oben oder unten voneinander ab, müssen die Beiträge überprüft werden. Hierzu sind wir gesetzlich verpflichtet.
Muss eine Beitragsanpassung erfolgen, müssen auch weitere Faktoren berücksichtigt werden. Denn nicht nur die Leistungsausgaben beeinflussen den Beitrag. Diese Faktoren sind:
Steigende Lebenserwartung
…
Kapitalmarktsituation
…
Entwicklung des Versichertenbestandes
…
Die Kl. hält die Beitragserhöhungen für unrechtmäßig. Mit Anwaltsschreiben vom 6.2.2018 forderte sie die Bekl. unter Fristsetzung von 14 Tagen zur Rückzahlung ihrer Ansicht nach überzahlter Prämien auf. Die Bekl. wies die Ansprüche zurück.
Nach Ansicht des BG ist die Tariferhöhung im Tarif Vi. zum 1.1.2016 wegen einer unzureichenden Begründung in dem Mitteilungsschreiben in formeller Hinsicht unwirksam. Die unzureichende Begründung habe im Hinblick auf die zeitliche Begrenzung dieses Tarifs bis zum 30.4.2016 auch nicht – etwa durch Zustellung der Klageerwiderung am 10.9.2018 – nachträglich geheilt werden können.
2 Aus den Gründen:
[13] Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urt. v. 16.12.2020 BGHZ 228, 56) entschieden und im Einzelnen begründet hat, wird erst durch die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt (…). Dabei erfordert die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat (…).
Wie der Senat in dem genannten Urteil weiter ausgeführt hat, steht der Anwendung von § 203 Abs. 5 VVG auch für den Zeitraum vor jener Entscheidung nicht entgegen, dass der Begriff der "maßgeblichen Gründe" der Auslegung bedurfte (…). Im Übrigen steht unabhängig davon, ob ein VN die streitgegenständlichen Prämienanpassungen auch in materieller Hinsicht angreift, § 242 BGB einer Wahrnehmung seiner Informationsrechte und des daraus folgenden Rückzahlungsanspruchs nicht entgegen (…)
[14] Mit Urt. v. 17.11.2021 (VersR 2022, 97) hat der Senat außerdem entschieden, dass der VN bei einem Anspruch auf Rückzahlung von Versicherungsbeiträgen aufgrund einer unwirksamen Prämienanpassung die für den Beginn der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis vom Fehlen des Rechtsgrundes mit Erhalt der seiner Ansicht nach formal unzureichenden Änderungsmitteilung erlangt (…). Die Erhebung einer darauf gestützten Klage ist auch nicht unzumutbar, wenn der VN bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung zu den Anforderungen, die an die nach § 203 Abs. 5 VVG mitzuteilenden Gründe einer Prämienanpassung zu stellen sind, seine Ansprüche gegen den VR geltend gemacht und Klage erhoben hat (…).
[15] 2. Die Revisionen haben auch keine Aussicht auf Erfolg.
[16] a) Entgegen der Ansicht der Revision der Bekl. hat das BG rechtsfehlerfrei der Klage im ausgeurteilten Umfang stattgegeben.
[17] aa) Das BG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die von der Bekl. mitgeteilten Gründe für die Prämienerhöhung zum 1.1.2016 die Voraussetzungen einer nach § 203 Abs. 5 VVG erforderlichen Mitteilung nicht erfüllen. Ob die Mitteilung einer Prämienanpassung den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden (Senat BGHZ 228, 56 Rn 38). Nach der aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Beurteilung...