VVG § 159 Abs. 2; BGB § 133, ALB § 12 Abs. 1
Leitsatz
Die Kündigung eines Vertrages über eine Lebensversicherung, verbunden mit dem Verlangen auf Auszahlung des Rückkaufswerts, stellt regelmäßig einen Widerruf eines bestehenden Bezugsrechts dar.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Stuttgart, Urt. v. 10.2.2022 – 7 U 165/21
Sachverhalt
Die Kl. nimmt die Bekl. als Alleinerbin der verstorbenen VN auf Rückzahlung eines am Tag vor deren Tod an die VN ausgekehrten Rückkaufswerts einer Rentenversicherung in Anspruch.
Am 9.5.2012 nahm die VN bei der Kl. eine Rentenversicherung, welche für den Fall ihres Todes ihren Lebensgefährten (nachfolgend: Streitverkündeter als widerruflich Bezugsberechtigten vorsah (§ 12 Nr. 1 AVB). Mit Schreiben vom 18.2.2019 kündigte die VN den Versicherungsvertrag ordentlich zum 1.4.2019 und forderte die Kl. dazu auf, ihr "den Restbetrag" auf ihr Girokonto zu erstatten. Bereits am 26.3.2019 kehrte die Kl. einen Betrag in Höhe der Klageforderung (16.044,37 EUR) an die VN aus. Der Betrag wurde dem Konto der VN am Folgetag gutgeschrieben. Einen Tag später, am 28.3.2019, verstarb die VN und wurde von der Bekl., ihrer Tochter, beerbt.
Mit Anwaltsschreiben vom 13.9.2019 zeigte die Bekl. der Kl. das Versterben der VN an und teilte mit, dass sämtliche zugunsten des S bestehenden Vollmachten widerrufen worden seien; zugleich würden etwa zu seinen Gunsten bei der Kl. bestehende Bezugsrechte widerrufen. Mit Schreiben vom 1.10.2020 ließ die Kl., die vom Tod der VN zuvor nichts wusste, mitteilen, dass ein Widerruf des Bezugsrechts wegen des Eintritts des Versicherungsfalls nicht mehr möglich sei. Die Kl. werde den Widerruf aber insofern achten, als sie dem S kein Angebot auf Abschluss eines Schenkungsvertrags mehr überbringen werde.
Die Kl. hat die Bekl. aus ungerechtfertigter Bereicherung in Anspruch genommen. Da der Kündigung vom 18.2.2019 kein Widerruf des Bezugsrechts entnommen werden könne, habe dieses bis zum Ende des Versicherungsvertrags zum 1.4.2019 fortbestanden. Mit Eintritt des Versicherungsfalls habe somit der S den Anspruch auf die Todesfallleistung erworben, welche indessen mit 15.090,32 EUR geringer sei als der ausbezahlte Rückkaufswert. Ob er die Todesfallleistung auch nach dem Valutaverhältnis zu beanspruchen habe, habe die Kl. nicht zu prüfen. Die Zahlung an die VN sei daher ohne Rechtsgrund erfolgt.
2 Aus den Gründen:
1. Zu Recht hat das LG der Kl. allerdings den Mehrbetrag zuerkannt, um welchen der ausbezahlte Rückkaufswert die Todesfallleistung übersteigt, wenngleich sich dieser rechnerisch richtig auf 954,05 EUR beläuft (§§ 1922, 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB).
Soweit die Bekl. hierzu geltend macht, dass durch die vorzeitige Auszahlung des Rückkaufswerts vor dem Tod der VN schlüssig ein Aufhebungsvertrag zustande gekommen sei, was zur Folge habe, dass der somit nachvertragliche Tod der VN ohne Einfluss auf die vertraglichen Beziehungen habe bleiben müssen, verfängt dies nicht. Die VN hat den Vertrag "zum 1.4.2019" gekündigt. Die Kl. hat dies mit Schreiben vom 26.3.2019 bestätigt und mitgeteilt, sie habe "die Kündigung zum 1.4.2019 durchgeführt" und den Rückkaufwert zur Zahlung angewiesen. Vor diesem Hintergrund ist kein Raum dafür, dem schlichten Auszahlungsvorgang einen zusätzlichen Erklärungswert beizumessen (§§ 133, 157 BGB).
Einwendungen gegen die von der Kl. mitgeteilten Werte hat die Bekl. nicht erhoben. Um den Mehrbetrag von 954,05 EUR ist die Bekl. mithin ungerechtfertigt bereichert.
2. Nicht gefolgt werden kann dem LG, soweit es die Bekl. auch zur Rückzahlung der Todesfallleistung für verpflichtet gehalten hat.
a) Insoweit macht die Bekl. zwar ohne Erfolg geltend, dass es der Kl. verwehrt gewesen wäre, einen solchen Anspruch geltend zu machen.
aa) Aus der Rechtsprechung des OLG Saarbrücken (VersR 2018, 149, sowie nunmehr auch OLG Hamm VersR 2020, 89) kann die Bekl. dafür nichts herleiten. Danach kann der Versicherer einem Auszahlungsbegehren des Bezugsberechtigten gem. § 242 BGB entgegenhalten, dass der Bezugsberechtigte die Leistung im Verhältnis zum Erben nicht behalten dürfe, weil das Valutaverhältnis unter einem offensichtlichen Mangel leide. Ein solchermaßen offensichtlicher Mangel des Valutaverhältnisses liege vor, wenn feststehe, dass es – nach Widerruf des an den Versicherer gerichteten Auftrags zur Überbringung des Schenkungsangebots post mortem – nicht mehr zum Abschluss eines Schenkungsvertrags im Valutaverhältnis kommen könne.
So liegt es hier aber schon deshalb nicht, weil die Kl. das Vorliegen eines offensichtlichen Mangels des Valutaverhältnisses bestritten und geltend gemacht hat, dass insoweit schon zu Lebzeiten ein Rechtsgrund geschaffen worden sein könne. Insbesondere komme in Betracht, dass die VN und der Streitverkündete schon lebzeitig einen Schenkungsvertrag abgeschlossen hätten, der jedenfalls mit Eintritt des Versicherungsfalls formwirksam geworden wäre (vgl. BGH VersR 2013, 1121 Rn 21; NJW 1975, 382). Da die Bekl. dem trotz Hinweis des LG nicht unter Beweisantritt entgegengetreten ist, ist das...