Aus den genannten Grundsätzen über die Anwendung standardisierter Messverfahren ergibt sich letztlich eine Beibringungs- bzw. Darlegungslast des Betroffenen, wenn er den Geschwindigkeitsverstoß bestreitet. Denn nur, wenn die Verteidigung konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Messung darlegt, ist das Gericht verpflichtet, in eine weitere Sachaufklärung zur Richtigkeit der Messung einzutreten, namentlich ein Sachverständigengutachten zur Richtigkeit der Messung einzuholen.
Schon der BGH hat daher bereits in seinen ursprünglichen Entscheidungen zum standardisierten Messverfahren die Anwendung dieser Grundsätze gerade davon abhängig gemacht, dass es dem Betroffenen möglich bleibt, selbst Zweifel an der Richtigkeit der Messung darzulegen und im Wege des Beweisantrags in das Verfahren einzuführen: "Sein Anspruch, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Meßdaten verurteilt zu werden, bleibt auch dann gewahrt, wenn [!] ihm die Möglichkeit eröffnet ist, den Tatrichter im Rahmen seiner Einlassung auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen".
Diese "Möglichkeit" des Betroffenen darf dabei nicht nur auf dem Papier bestehen. Ein in der vorgenannten Weise ausgestaltetes Verfahren genügt daher nur dann den Anforderungen an ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK), wenn der Betroffene auch tatsächlich in die Lage versetzt wird, das von ihm geforderte substantiierte Vorbringen zur von ihm behaupteten Unrichtigkeit der Messung zu erbringen. Dies ist ihm aber wiederum nur möglich, wenn der Betroffene durch Einsicht in die Messunterlagen die Möglichkeit erhält, gegebenenfalls unter Einschaltung eines von ihm beauftragten Sachverständigen konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Messung zunächst zu ermitteln und sodann im Verfahren darzulegen.
Wie Cierniak an dieser Stelle in seinem grundlegenden Beitrag über "Prozessuale Anforderungen an den Nachweis von Verkehrsverstößen" im Jahr 2012 dargelegt hat, ist daher die Zuerkennung eines Einsichtsrechts in die Messunterlagen nicht etwa ein Widerspruch zur Anerkennung standardisierter Messverfahren – wie die frühere Gegenauffassung vor der Entscheidung des BVerfG geltend gemacht hat –, sondern (ganz im Gegenteil) die Grundbedingung für die Anerkennung der Grundsätze über das standardisierte Messverfahren. Die genannten Grundsätze zum bestehenden Einsichtsrecht des Betroffenen auch in die nicht bei der Akte befindlichen Messunterlagen hat das BVerfG mit seinem Beschl. v. 12.11.2020 unmissverständlich bestätigt und den angefochtenen Beschluss des OLG Bamberg im Rechtsbeschwerdeverfahren aufgehoben. Es hat diese Entscheidung sodann mit weiteren Beschlüssen vom 28.4.2021 und 4.5.2021 – jeweils Entscheidungen des OLG Bamberg und das BayObLG betreffend – bestätigt.